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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Erde vergraben, aus der sie mit den Fäusten Kräuter herausgerissen hatte. Weiterhin lag ein toter Hauptmann auf dem Bauche, den Kopf hoch erhoben, als schrie er noch vor Schmerzen. Andere schienen im Gestrüpp zu schlafen, während einem Zuaven, dessen blauer Gürtel sichentzündet hatte, Bart und Haar ganz verbrannt waren. Wiederholt mußten sie auf diesem engen Waldpfade einen Körper aus dem Wege räumen, damit der Esel seinen Weg fortsetzen konnte.
    In einem kleinen Tale hörte der Schrecken plötzlich auf. Zweifellos war die Schlacht hier vorbeigegangen, ohne dies köstliche Eckchen Natur zu berühren. Kein Baum war gestreift, keine Wunde hatte ihr Blut über das Moos gespritzt. Ein Bach lief unter Wasserlinsen dahin, der an ihm entlangführende Pfad war von großen Buchen überschattet. Der Reiz dieses anbetungswürdigen Friedens ging ihnen durch und durch, die Frische des dahinlaufenden Wassers, dies schaudernde Schweigen im Grünen.
    Prosper hielt den Esel an, um ihn aus dem Bache trinken zu lassen.
    »Ach, wird einem hier wohl!« sagte er in einem unwillkürlichen Ausbruch von Erleichterung.
    Silvine blickte mit erstaunten Augen um sich; auch sie fühlte sich erholt und beglückt. Aber was sollte ihr der glückliche Frieden dieses verlorenen Winkels, wenn draußen doch überall nur Trauer und Leid herrschte? Mit einer verzweifelten Bewegung trieb sie zur Eile an.
    »Schnell, schnell, vorwärts! ... Wo ist es? Wo glaubt Ihr Honoré ganz bestimmt gesehen zu haben?«
    Und als sie fünfzig Schritte weiter wieder auf die Hochebene von Illy heraustraten, lag plötzlich die kahle Fläche in ihrer vollen Ausdehnung vor ihnen. Diesmal war es das richtige Schlachtfeld; nackter Boden dehnte sich bis an den Horizont unter dem bleifarbigen Himmel aus, von dem es jetzt dauernd in Strömen herabgoß. Die Toten waren hier nicht zu Haufen zusammengeschichtet; alle Preußen mußtenschon beerdigt sein, denn kein einziger lag unter den verstreuten Franzosen, die an den Wegen entlang, auf den Stoppeln und unten in den Hohlwegen lagen, je nachdem sie das Geschick der Schlacht ereilt hatte. Der erste, den sie trafen, war ein Sergeant, der sich gegen eine Hecke lehnte, ein prachtvoller, kräftiger junger Mann, der mit halb geöffneten Lippen und ruhigem Gesicht noch zu lächeln schien. Aber hundert Schritte weiter sahen sie einen andern quer über den Weg liegen, gräßlich verstümmelt, den Kopf halb Weggerissen, die Schultern ganz von Gehirn bespritzt. Jenseits dieser vereinzelten Körper lagen dann kleinere Gruppen; so sahen sie sieben in einer Reihe, das Knie auf dem Boden, das Gewehr an der Schulter, beim Schießen getroffen; und neben ihnen war ein Offizier gefallen, während er Befehle erteilte. Der Weg ging nun in einem engen Bachbett entlang, und hier packte der Schrecken sie wieder angesichts dieses Grabens, in den eine ganze Kompanie unter der Wirkung des Kugelregens hingestürzt zu sein schien: er war voller Leichen, ein wahrer Sturzbach zusammengeknäulter, zerbrochener Menschen, deren gekrümmte Hände sich in die gelbe Erde eingekrallt hatten, ohne Halt an ihr zu finden. Mit lautem Krächzen erhob sich ein schwarzer Schwarm von Raben; Fliegenschwärme summten schon über den Körpern herum und kamen zu Tausenden immer wieder zurück, um das frische Blut der Wunden aufzulecken.
    »Wo ist es denn?« fragte Silvine wieder.
    Sie gingen an einem frisch bestellten Acker entlang, der ganz mit Tornistern bedeckt war. Irgendein hart bedrängtes Regiment mußte sich ihrer hier in einer plötzlichen Anwandlung von Panik entledigt haben. Die Überreste, mit denen der Erdboden übersät war, erzählten deutlich ganzeEinzelvorgänge des Kampfes. Über ein Feld mit roten Rüben verstreute Käppis, die wie riesige Mohnblüten aussahen, Uniformfetzen, Achselstücke, Koppel erzählten von einem wilden Handgemenge, einem der seltenen Kämpfe Mann gegen Mann in diesem fürchterlichen, zwölf Stunden dauernden Artilleriezweikampf. Was sie aber auf jeden Schritt trafen, das waren Bruchstücke von Waffen, Säbeln, Bajonetten, Chassepots, und zwar so zahlreich, daß sie ihnen wie eine neue Pflanzendecke vorkamen, wie die an einem Tage des Schreckens emporgeschossene Ernte. Eßschüsseln und Wasserflaschen lagen gleichfalls an den Wegen entlang, und alles, was sonst noch aus den geleerten Tornistern hatte herausfallen können, Reis, Bürsten, Patronen. In dieser fürchterlichen Zerstörung folgten sich Acker auf Acker, umgerissene

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