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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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seinen Lebensunterhalt sollte man sich verdienen? Er sammelte Chassepots auf und bekam fünf Sous für jeden, den er fand. Er war morgens früh aus seinem Dorf ausgerissen und hatte seit gestern einen leeren Magen; durch einen luxemburgischen Unternehmer hatte er sich verführen lassen, der mit den Preußen einen Vertrag über die Sammlung von Gewehren auf den Schlachtfeldern abgeschlossen hatte. Diese fürchteten nämlich tatsächlich, wenn die Waffen durch die Grenzbauern aufgesammelt würden, möchten sie nach Belgien gehen und von da wieder nach Frankreich hineinkommen. Eine ganze Wolke dieser armen Teufel war also auf der Jagd nach Gewehren, sie suchten ihre fünf Sous im Gestrüpp, so daß sie wie die Weiber aussahen, die mit aufgeschlagenen Röcken auf den Wiesen Löwenzahn suchen.
    »Niederträchtiges Geschäft!« brummte Prosper.
    »Na ja! Man will doch essen,« erwiderte der Junge, »ich stehle keinem Menschen was.«
    Da er aber nicht aus der Gegend stammte und keine Auskunft geben konnte, beschränkte er sich darauf, ihnen einen kleinen benachbarten Hof zu zeigen, auf dem er Leute gesehen hätte.
    Prosper dankte ihm und ging weiter hinter Silvine her, als er ein Chassepot halb in einer Ackerfurche stecken sah. Zuerst hütete er sich wohl, ihn ihm zu zeigen. Dann aber lehrte er um und schrie wie außer sich:
    »Hier! Da ist noch einer, der gibt dir noch fünf Sous drüber her!«
    Als Silvine naher an den Hof herankam, bemerkte sie verschiedene Bauern, die lange Gruben mit der Hacke aushoben. Sie standen aber unter unmittelbarem Befehl preußischer Offiziere, die, nur eine Gerte in den Händen, steif und stumm ihr Werk überwachten. Auf die Weise hatten sie die Dorfbewohner ausgehoben, um die Toten zu beerdigen, da sie befürchteten, das Regenwetter würde die Verwesung beschleunigend Zwei Karren voll Toter standen da, eine Schicht entleerte sie und legte die Leichen rasch, ohne sie zu durchsuchen oder auch nur ihnen ins Gesicht zu sehen, in dichtgedrängten Reihen nebeneinander; drei mit großen Schaufeln bewaffnete Leute folgten ihnen und bedeckten die Reihen mit einer so dünnen Schicht Erde, daß unter dem Einfluß des strömenden Regens bereits Risse zu klaffen begannen. Ehe vierzehn Tage Um wären, mußte die Pest aus diesen Rissen hervorhauchen, so oberflächlich geschah diese Arbeit. Silvine konnte nicht umhin, am Rande der Grube stehenzubleiben und die unglücklichen Toten der Reihe nach, wie sie herangebracht wurden, genau anzusehen. Sie zitterte vor entsetzlicher Furcht bei dem Gedanken, in jedem der blutigen Gesichter könne sie Honoré entdecken. War es nicht der Ärmste da, dem das linke Auge fehlte? Oder vielleicht der, dem die Kinnbacken zerspalten waren? Wenn sie sich nicht beeilte, ihn auf dieser endlosen, wüsten Fläche zu finden, würden sie ihn ihr sicher nehmen und ihn mit den andern in einem solchen Haufen begraben.
    Jetzt lief sie wieder hinter Prosper her, der mit dem Esel bis an das Hoftor vorangegangen war.
    »Herrgott! Wo ist es denn? ... Fragt doch, erkundigt Euch doch!«
    Auf dem Hofe lagen nur Preußen in Gesellschaft einerMagd und ihres Kindes, die aus dem Walde wiedergekommen waren, weil sie dort vor Hunger und Durst umkamen. Es war ein Winkel voll urväterlicher Gemütlichkeit, voll ehrlicher Ruhe nach den Anstrengungen der vorhergehenden Tage. Soldaten bürsteten sorgfältig ihre auf Leinen zum Trocknen aufgehängten Uniformen aus. Einer war gerade mit einer geschickten Flickarbeit an seiner Hose fertig, während der Koch des Postens mitten auf dem Hofe ein mächtiges Feuer angezündet hatte, über dem die Suppe kochte, ein dicker Kessel, der einen vorzüglichen Duft nach Kohl und Speck ausströmte. Die Eroberung setzte sich bereits mit voller Ruhe und vorzüglichster Manneszucht ins Werk. Man hätte sie für nach Hause gegangene Bürger halten können, die ihre lange Pfeife rauchten. Auf einer Bank neben der Türe hatte ein dicker, rothaariger Mensch das Kind der Magd auf den Arm genommen, ein fünf- oder sechsjähriges Kerlchen; er ließ es tanzen und sprach auf Deutsch zärtlich auf es ein, wobei es ihm gewaltigen Spaß machte, wenn er sah, wie das Kind über die fremden Laute mit ihren rauhen Silben lachte, die es nicht verstand.
    Aus Furcht vor einem unglücklichen Zufall kehrte ihnen Prosper sofort den Rücken. Aber die Preußen hier waren entschieden brave Kerls. Sie lachten über den kleinen Esel und gaben sich nicht mal die Mühe, nach ihrem Schein zu fragen.
    Nun

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