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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Stadt war furchtbar schmutzig, eine reine Kloake, in der sich seit drei Tagen die Abfälle und Auswürfe von hunderttausend Menschen anhäuften. Alle möglichen Überreste hatten diese menschliche Streu vermehrt, Stroh und Hafer, den tierischer Kot zum Faulen brachte. Vor allem aber waren es die Kadaver der Pferde, die mitten auf offener Straße geschlachtet und zerlegt worden waren und nun die Luft verpesteten. Die Eingeweide faulten im Sonnenschein, die Köpfe und Knochen lagen auf dem Pflaster umher und wimmelten von Fliegen. Sicher mußte hier die Pest ihren Atem ausströmen, wenn man sich nicht damit beeilte, diese gräßliche Schmutzschicht, die in der Rue Macqua, der Rue Ménil, selbst auf dem Turenneplatz bis zu zwanzig Zentimeter hoch lag, in die Kanäle zu kehren. Übrigens waren durch die preußischen Behörden weiße Anschläge angeklebt worden, die alle Bürger vom nächsten Tage an einstellten und ihnen befahlen, ob sie nun Kaufleute, Arbeiter, Händler, Bürger oder Magistratsbeamte waren, sich mit Besen und Schaufeln bewaffnet an die Arbeit zu machen, und es wurden ihnen die strengsten Strafen angedroht, wenn die Stadt nicht bis zum Abend sauber wäre. Und schon konnten sie sehen, wie der Gerichtspräsident vor seiner Türe den Fußsteig abkratzte und allen möglichen Unrat mit einer Feuerschaufel auf einen Karren warf.
    Nur mit kleinen Schritten konnten Silvine und Prosper, die die Große Straße eingeschlagen hatten, durch all diesen faulenden Dreck vorwärts kommen. Dann aber erfüllte auch eine gewisse Erregung die Stadt und versperrte ihnen alle Augenblicke den Weg. Die Preußen untersuchten gerade jetzt die Häuser nach verborgenen Soldaten, die sich nicht ergebenwollten. Als General Wimpffen tagszuvor um zwei Uhr vom Schlosse Bellevue zurückgekommen war, nachdem er dort die Übergabe unterzeichnet hatte, lief sogleich das Gerücht umher, die gefangenen Truppen sollten auf der Halbinsel Iges eingeschlossen werden und dort abwarten, bis alles für ihre Überführung nach Deutschland vorbereitet wäre. Einige wenige Offiziere beabsichtigten von der Vertragsbestimmung Gebrauch zu machen, die sie unter der Bedingung frei ließ, daß sie sich durch Namensunterschrift verpflichteten, nicht weiterzudienen. Nur ein General, der General Bourginn-Desfeuilles, war, wie man sagte, unter dem Vorwande seines Rheumatismus auf diese Abmachung eingegangen; Spottrufe hatten am Morgen seine Abreise begleitet, als er vor dem Gasthofe Zum goldenen Kreuz in den Wagen gestiegen war. Seit Tagesanbruch ging die Entwaffnung ihren Gang; die Soldaten mußten über den Turenneplatz ziehen und dort jeder seine Waffen, Gewehre, Bajonette auf einen immer höher anwachsenden Haufen werfen, der in einer Ecke des Platzes wie ein Bergsturz von altem Eisen lag. Dort stand eine preußische Abteilung, von einem jungen Offizier befehligt, einem großen, blassen Jungen, in himmelblauem Waffenrock, einem Helm mit Hahnenfederbusch und weißen Handschuhen an den Händen, der diese Entwaffnung mit hochmütiger Genauigkeit überwachte. Einen Zuaven, der in einer Anwandlung von Widerwillen seinen Chassepot nicht hatte abgeben wollen, hatte der Offizier mit den ohne jede Betonung gesprochenen Worten abführen lassen: »Der Wann wird erschossen!« Die andern, die traurig vorbeizogen, warfen ihre Gewehre mit einer gedankenlosen Handbewegung weg, um nur schnell damit fertigzuwerden. Aber wie viele waren bereits entwaffnet, alle die, deren Chassepotsda draußen auf den Feldern herumlagen. Und wie viele hielten sich seit gestern versteckt und träumten davon, in der unaussprechlichen Verwirrung verschwinden zu können. Die Häuser, in die sie eingedrungen waren, blieben voll von diesen Starrköpfen, die keinen Laut von sich gaben und sich in alle möglichen Ecken drückten. Deutsche Trupps, die die Stadt durchstreiften, fanden sie sogar unter Möbeln versteckt. Und da viele, selbst nachdem sie schon entdeckt waren, nicht aus den Kellern hervorkommen wollten, begannen die Streiftrupps kurz entschlossen auf sie durch die Luftlöcher zu schießen. Es war eine richtige Jagd auf Menschen, eine abscheuliche Treibjagd.
    Auf der Maasbrücke wurde der Esel durch eine Menschenansammlung angehalten. Der Befehlshaber des Postens, der die Brücke bewachte, traute ihnen nicht, sondern glaubte an irgendwelchen Handel mit Brot oder andern Lebensmitteln und wollte sich erst von dem Inhalt des Karrens überzeugen; aber als er die Decke aufhob, sah er den Leichnam

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