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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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einen Augenblick voller Ergriffenheit an; dann gab er den Weg mit einer Handbewegung frei. Aber sie konnten immer noch nicht vorwärts kommen; es handelte sich um den ersten Trupp Gefangener, die eine preußische Abteilung nach der Halbinsel Iges abführte. Der Trupp nahm gar kein Ende, die Leute drängten sich und liefen sich auf den Hacken; in ihren zerlumpten Uniformen, mit gesenktem Kopfe sahen sie schräg zur Seite, sie zeigten den gekrümmten Rücken und die hängenden Arme Gefangener, die nicht mal mehr ein Messer haben, um sich die Kehle durchzuschneiden. Die rauhe Stimme ihrer Wächter trieb dies schweigsame Gewimmel wie Peitschenhiebe an, und man hörte nichts als das Klatschen ihrer groben Schuhe in dem dicken Schmutz. Wiederging ein Wolkenbruch nieder, und nichts konnte in dieser Regenflut einen jämmerlicheren Eindruck machen als dieser Trupp heruntergekommener Soldaten, die wie Bettler und Herumstreicher von der großen Landstraße aussahen.
    Prosper, dem sein altes Jägerherz zum Zerspringen klopfte, stieß ganz erstickt vor Wut Silvine mit dem Ellbogen an, um ihr zwei der vorübergehenden Soldaten zu zeigen. Er hatte Maurice und Jean erkannt, die mit ihren Gefährten dahergeführt wurden und brüderlich Seite an Seite gingen; und als der kleine Karren endlich seinen Weg hinter dem Trupp her wieder aufnahm, konnten seine Blicke sie auf der ebenen Straße, die inmitten von Gärten und Gemüsezüchtereien nach Iges führt, bis zur Vorstadt Torcy verfolgen.
    »Ach!« sagte Silvine leise mit einem Blick auf Honorés Leiche, denn sie fühlte sich von dem Gesehenen ganz niedergeschmettert, »vielleicht sind doch die Toten glücklicher dran.«
    In Wadelincourt überfiel sie die Nacht, und es war vollständig dunkel, als sie in Remilly ankamen. Vater Fouchard erstarrte angesichts des Leichnams seines Sohnes; denn er war fest überzeugt gewesen, sie würden ihn nicht finden. Er hatte seinen Tag mit dem Abschluß eines guten Geschäfts hingebracht. Auf dem Schlachtfelde gestohlene Offizierspferde wurden glatt für zwanzig Francs das Stück verkauft; und er hatte drei für fünfundvierzig Francs gekauft.
     

2.
    In dem Augenblick, als der Gefangenenschub aus Torcy heraustrat, gab es ein derartiges Gedränge, daß Maurice von Jean getrennt wurde. Es nützte ihm nichts, daß erumherlief, er verirrte sich nur noch mehr. Und als er an die Brücke über den Kanal kam, der die Halbinsel Iges von ihrer Grundlinie trennt, befand er sich zwischen Chasseurs d'Afrique und konnte nicht wieder zu seinem Regiment gelangen.
    Zwei gegen das Innere der Halbinsel gerichtete Geschütze bestrichen den Brückenübergang. Gleich hinter dem Kanal hatte der preußische Generalstab in einem Bürgerhause einen Posten untergebracht, der unter Befehl eines eigenen Kommandanten stand und mit Aufnahme und Überwachung bei Gefangenen beauftragt war. Die Förmlichkeiten waren übrigens nur kurz; bei dem herrschenden Gedränge wurden die Leute, wie sie hereinkamen, aufs Geratewohl gezählt wie die Hammel, ohne daß sich jemand um ihre Uniformen oder Regimentsnummern gequält hätte; und so wurden die einzelnen Gruppen vermischt und ließen sich nieder, wohin ihr Geschick sie gerade führte.
    Maurice glaubte sich an einen bayrischen Offizier wenden zu sollen, der rittlings auf einem Stuhle saß und rauchte.
    »Wohin muß das hundertsechste Linienregiment gehen, mein Herr?«
    Verstand der Offizier ausnahmsweise kein Französisch oder machte es ihm Spaß, einen armen Soldaten in die Irre zu jagen? Er lächelte, hob die Hand und machte ihm ein Zeichen, geradeaus zu gehen.
    Obwohl Maurice aus der Gegend stammte, war er doch nie auf der Halbinsel gewesen und ging also auf Entdeckungen los, als habe ihn ein Windstoß auf eine weit entfernte Insel geführt. Zunächst ging er links am Glaireturm entlang, einem schönen Besitztum, dessen kleiner, am Maasufer angelegter Park einen unendlichen Reiz besaß. Dann folgte der Weg dem Flusse, der rechts am Fuße steiler Böschungendahinfloß. Allmählich stieg er in langsamen Windungen rund um den kleinen Berg herum an, der die Mitte der Halbinsel einnahm; hier lagen alte Steinbrüche, riesige Höhlen, und ein paar enge Pfade verloren sich in der Richtung dorthin. Weiter unterhalb befand sich am Strome eine Mühle. Dann bog die Straße schräg ab und stieg gegen das Dorf Iges zu an, das an einem Abhange lag und durch eine Fähre, gegenüber der Spinnerei von Saint-Albert, mit dem andern Ufer verbunden war.

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