Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
wurde ihr Marsch ganz toll. Die Sonne kam einen Augenblick zwischen zwei Wolken durch, schon ganz niedrig über dem Horizont. Wollte die Nacht schon hereinbrechen und sie auf diesem endlosen Leichenhaufen überraschen? Ein neuer Sturzregen verdunkelte die Sonne, um sie her war wieder nichts als die bleigraue Unendlichkeit des Regens, einWasserstaub, der alles, Wege, Felder und Bäume, verwischte. Er wußte nicht weiter, er fühlte sich verloren und gestand das ein. Der Esel trabte immer im gleichen Schritt mit gesenktem Kopfe hinter ihnen her und zog als gelehriges Tier seinen kleinen Karren mit ergebenem Schritt. Nun ging's nach Norden, und sie kamen auf Sedan zurück. Jede Richtung fehlte ihnen; zweimal machten sie ganz denselben Weg und merkten das erst, als sie über dieselben Stellen kamen. Zweifellos drehten sie sich im Kreise herum, und schließlich hielten sie verzweifelt und erschöpft an einem Kreuzwege, wo drei Straßen auseinandergingen, vom Regen gepeitscht, unvermögend, noch weiter zu suchen.
    Da hörten sie zu ihrer Überraschung laute Klagen; sie drangen bis als ein kleines Haus zu ihrer Linken vor und fanden hier hinten in einer Kammer zwei Verwundete. Die Türen standen weit offen; und seit den zwei Tagen, die sie hier, ohne auch nur verbunden zu sein, im Fieber klapperten, hatte sie kein Mensch, keine Seele gesehen. Vor allem verzehrte sie der Durst bei dem ständigen Rauschen der Regenfluten, die gegen die Fensterscheiben schlugen. Sie konnten sich nicht rühren und stießen fortwährend den Ruf: »Zu trinken! Zu trinken!« aus, diesen Schrei schmerzhafter Gier, mit dem Verwundete Vorübergehende bei dem geringsten Geräusch, das sie aus ihrer Schlaftrunkenheit reißt, zu verfolgen pflegen.
    Während Silvine Wasser heranbrachte, hatte Prosper in dem am übelsten Zugerichteten einen Waffenbruder erkannt, Men Chasseur d'Afrique von seinem Regiment, und erfuhr von ihm, daß sie nicht weit von der Stelle sein könnten, wo die Division Margueritte angegriffen hatte. Der Verwundete schloß mit einer undeutlichen Handbewegung: ja, dawar's, wenn sie sich nach links wendeten, nachdem sie an einem Kleefeld vorbeigekommen wären. Ohne weiter zu warten, wollte Silvine auf Grund dieser Auskunft gleich weiter. Sie hatte den Verwundeten eine Anzahl vorbeigehender Arbeiter zur Hilfe gerufen, die Tote auflasen. Dann nahm sie den Esel beim Zügel und zog ihn über den schlüpfrigen Erdboden; so eilig hatte sie es, dort drüben an dem Kleefeld vorbeizukommen.
    Prosper brachte sie plötzlich zum Stehen.
    »Hier muß es sein. Seht! Dort rechts stehen die drei Bäume ... Seht Ihr hier die Radspuren? Hier liegt ein zerbrochener Munitionskasten. Endlich sind wir da!«
    Zitternd stürzte Silvine vorwärts und sah in die Gesichter zweier Toter, zwei am Wegesrande gefallene Artilleristen.
    »Aber hier ist er nicht, hier ist er nicht ... Ihr müßt schlecht gesehen haben ... Ja! Das war so'n Gedanke, so 'ne falsche Vorstellung, die Euch vor Augen gekommen ist!«
    Allmählich kam eine närrische Hoffnung, eine wahnsinnige Freude über sie.
    »Wenn Ihr Euch getäuscht hättet, wenn er noch lebtet Ganz sicher lebt er, denn er ist doch nicht hier!«
    Plötzlich aber stieß sie einen dumpfen Schrei aus. Sie hatte sich gerade umgedreht und befand sich nun genau in der Batteriestellung. Es war furchtbar, der Erdboden war wie durch ein Erdbeben umgewühlt, überall lagen Trümmer umher. Tote lagen nach allen Richtungen verstreut in gräßlichen Stellungen da, mit verkrümmten Armen und angezogenen Beinen, den Kopf zurückgeworfen, als wollten sie ihren Schmerz noch mit dem weit offen stehen gebliebenen Munde, der die weißen Zähne sehen ließ, herausheulen.
    Ein toter, furchtsam zusammengekauerter Unteroffizierhielt beide Hände vor die Augen geschlagen, als wolle er nichts mehr sehen. Goldstücke, die ein Leutnant im Gürtel bei sich gehabt hatte, waren mit seinem Blute vermengt in seine eigenen Eingeweide gerollt. Einer über den andern lag das »Ehepaar«, der Fahrer Adolf und der Richtkanonier Louis, mit aus den Höhlen getretenen Augen da, sie waren in einer wilden Umarmung bis zum Tode verheiratet geblieben. Und endlich fanden sie Honoré auf seinem zusammengeschossenen Geschütz wie auf einem Paradebett liegen, Seite und Schulter zerschmettert, aber das Gesicht unversehrt und schön in seinem Zorn, wie es immer noch nach den preußischen Batterien dort hinten starrte.
    »O mein Freund!« schluchzte Silvine, »mein Freund

Weitere Kostenlose Bücher