Der Zusammenbruch
daß der erbleichte.
»Gottes Donnerwetter! willst du Schweinehund endlich schweigen?... Stundenlang schon sage ich nichts, weil es ja doch keine Führer mehr gibt und ich euch nicht allein in den Block bringen kann. Ja, sicher! ich hätte dem Regiment einen großen Dienst erwiesen, wenn ich ihm so'n paar erbärmliche Lumpen von deiner Art vom Halse geschafft hätte. ... Hör' aber! von dem Augenblick an, wo alle Strafen nur noch Luft sind, hast du es mit mir zu tun! Da gibt's keinen Korporal mehr, aber einen strammen Kerl, den du anödest und der dir dafür das Maul stopfen will. Ach, du verdammter Feigling! Du willst dich nicht schlagen und willst die andern dazu aufhetzen, daß sie sich auch nicht schlagen! Sag' das noch mal, wenn du Hiebe haben willst!«
Schon ließ der ganze Wagen, durch Jeans schönes Draufgehen bekehrt und wiederaufgerichtet, Chouteau im Stich, der sich stotternd vor den dicken Fäusten seines Gegners zurückzog.
»Ich kehre mich ebensowenig wie du an Badinguet, verstehst du?... Ich habe mich nie um Politik gekümmert, ob Republik oder Kaiserreich; und heute wie damals, als ich nochmeinen Acker bebaute, habe ich mir immer nur eins gewünscht: Glück für alle, Ordnung, gute Geschäfte ... Natürlich ärgert sich jeder, wenn er sich schlagen soll. Deshalb muß man sie aber doch an die Mauer stellen, die Lumpen, die einem auch noch den Mut nehmen wollen, wenn es einem so schon so schwer wird, sich ordentlich zu halten. Herrgott! schlägt euch das Herz nicht rascher, Freunde, wenn ihr hört, daß die Preußen bei euch sind und daß ihr sie wieder rausschmeißen müßt?«
Nun stimmten die Leute mit der Leichtigkeit, mit der die Menge ihre Leidenschaften wechselt, laut dem Korporal zu, der nochmals schwur, er werde dem ersten von seiner Korporalschaft, der sich weigerte zu fechten, den Hals brechen. Bravo, Herr Korporal! Sie wollten schon mit Bismarck abrechnen!
Inmitten dieser wilden Ehrenbezeigung wandte sich Jean, wieder ruhig geworden, höflich zu Maurice, als spräche er gar nicht zu einem seiner Leute:
»Herr, Sie können doch nicht zu diesen Feiglingen gehören ... Sehen Sie, noch sind wir ja gar nicht geschlagen; schließlich werden wir sie schon eines Tages verhauen, die Preußen!«
In dem Augenblick war es Maurice, als ob ihm ein warmer Sonnenstrahl ins Herz fiele. Zwar blieb er düster im Gefühl seiner Erniedrigung. Ja, war denn dieser Mensch nicht ein bloßer Flegel? Und er rief sich den schrecklichen Haß ins Gedächtnis zurück, der ihn entflammte, als er sein Gewehr wieder aufnehmen mußte, das er in augenblicklicher Gedankenlosigkeit weggeworfen hatte. Er erinnerte sich auch seiner Rührung beim Anblick der zwei großen Tränen des Korporals, als die alte Großmutter, die Haare im Winde, sie beschimpfte, indem sie ihnen den Rhein da hinten hinter dem Horizont zeigte. War es das verbrüdernde Gefühl der gleichen Müdigkeit, der gleichen zusammen erlittenen Schmerzen, das seinenGroll so schwinden ließ? Er stammte aus bonapartistischer Familie und hatte von der Republik nie anders als einem wissenschaftlichen Gebilde geträumt; er empfand sogar eine gewisse Zärtlichkeit für den Kaiser und war für den Krieg als das Leben der Völker. Ganz plötzlich kam ihm in einem der ihm so vertrauten Gedankensprünge die Hoffnung wieder; und die Begeisterung, die ihn eines Abends dazu gebracht hatte, sich zu stellen, durchströmte ihn wieder aufs neue und schwellte sein Herz mit Siegeszuversicht.
»Selbstverständlich, Herr Korporal!« sagte er fröhlich, »wir wollen sie schon verhauen!«
Der Wagen rollte und rollte immerfort; er schleppte seine menschliche Ladung in dickem Pfeifenqualm und der erstickenden Hitze der eingepferchten Leiber weiter und schleuderte den angsterfüllten Orten, durch die er kam, den mageren Bauern, die an den Hecken entlang standen, unanständige Lieder und trunkenen Lärm zu. Am 20. August waren sie in Paris auf dem Bahnhof von Pantin und fuhren am selben Abend weiter, um am nächsten Tage in Reims, mit der Bestimmung nach dem Lager von Châlons, ausgeladen zu werden.
3.
Zu seiner großen Überraschung sah Maurice, daß die 106er in Reims ausstiegen und Befehl erhielten, dort Lager zu beziehen. Dann ging es also gar nicht nach Châlons, um zum Heere zu stoßen? Und als zwei Stunden später sein Regiment eine Meile vor der Stadt, nach Courcelles hinüber, die Gewehre zusammengestellt hatte, in der großen Ebene, die sich am Aisne-Marne-Kanal entlang
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