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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Um die Truppen zu beschäftigen, ließ General Douay sie an den noch sehr unvollständigen Verteidigungswerken der Festung arbeiten. Voller Wut karrten sie Erde und sprengten Felsen. Und nicht eine einzige Nachricht! Wo war die Armee Mac Mahons? und was geschah bei Metz? Die ausschweifendsten Gerüchte liefen um, und ein paar Pariser Zeitungen vermehrten durch ihre Widersprüche fast noch das dunkle Angstgefühl, mit dem man sich stritt. Zweimal hatte der General geschrieben und um Befehle gebeten, ohne auch nur eine Antwort zu erhalten. Indessen am 12. August endlich vervollständigte sich das siebente Korps durch die Ankunft der dritten Division, die aus Italien zurückkam; aber es war immer erst zwei Divisionen stark, denn die erste bei Fröschweiler geschlagene war mit in die Auflösung hineingerissen worden, ohne daß man selbst jetzt noch hätte sagen können, wo sie sich befände. Dann, nach einer Woche völliger Losgelöstheit, in der er gänzlich vom übrigen Frankreich getrennt war, kam ein Telegramm mit dem Aufbruchsbefehl. Große Freude herrschte; alles zogen die Leute diesem Eingemauertsein vor. Und während der Vorbereitungen begannen wieder die Mutmaßungen; kein Mensch wußte wohin es ging; einzelne meinten, sie sollten Straßburg verteidigen, während andere selbst von einem kühnen Streich gegen den Schwarzwald redeten, um die Rückzugslinie der Preußen abzuschneiden.
    Am nächsten Morgen ging das 106. Regiment als eins derersten ab, in Viehwagen zusammengepreßt. Der Wagen, in dem sich Jeans Korporalschaft befand, war besonders voll, so voll, daß Loubet behauptete, er hätte keinen Platz zum Niesen. Da die Verteilung wieder einmal in der größten Unordnung stattgefunden hatte, hatten die Leute das, was ihnen an Essen zustand, in Branntwein erhalten und waren fast alle betrunken, von einer wütenden und lauten Betrunkenheit, die sich in unanständigen Liedern Luft machte. Der Zug rollte dahin; im Wagen konnte man nichts mehr sehen vor Pfeifenrauch, der alles in Nebel hüllte; infolge der Ausdünstung all dieser zusammengepferchten Körper herrschte eine unerträgliche Hitze; aus dem schwarzen, dahinfliegenden Wagen aber tönten Flüche über das Rollen der Räder hinaus und erstarben in der traurigen Landschaft. Erst in Langres begriffen die Mannschaften, daß sie nach Paris zurückgebracht würden.
    »Du lieber Gott!« wiederholte Chouteau, der durch seine Allmacht als gewandter Redner in einer Ecke schon als unbestrittener Meister herrschte, »wir werden sicher in der Charentonne untergebracht werden, damit Bismarck nicht in den Tuilerien schlafen kann.«
    Die andern wandten sich und fanden das sehr witzig, ohne zu wissen, warum. Die geringfügigsten Zwischenfälle der Reise verursachten übrigens wüstes Gelächter, Schreie und betäubendes Gebrüll: am Wegrande stehende Bauern, Gruppen angsterfüllter Leute, die auf den kleinen Haltestellen die Durchfahrt der Züge abwarteten, das ganze verstörte, vor dem Einbruch schaudernde Frankreich. Und der zusammengelaufenen Bevölkerung flog so mit dem Luftzug der Lokomotive und dem raschen Eindruck des Zuges, erstickt in Rauch und Lärm, nur das Gebrüll dieses Kanonenfutters zu, das als Eilfracht weitergekarrt wurde. Als der Zug indessen aufeinem Bahnhof hielt und drei gut angezogene Damen, reiche Bürgerinnen der Stadt, den Soldaten Tassen voll Fleischbrühe austeilten, da hatten sie einen wahrhaften Erfolg. Die Leute weinten, als sie ihnen dankten und ihnen die Hände küßten.
    Weiterhin aber begannen die scheußlichen Lieder und wilden Schreiereien von neuem. In dieser Verfassung kreuzte dicht hinter Chaumont der Zug einen andern mit Artillerie besetzten, der nach Metz gehen sollte. Die Geschwindigkeit verringerte sich, und die Soldaten in den beiden Zügen verbrüderten sich unter schrecklichem Lärm. Übrigens behielten doch die Artilleristen, zweifellos die Betrunkeneren, die Oberhand, indem sie stehend die Fäuste aus dem Wagen herausstreckten und mit verzweifelter Heftigkeit fortwährend den alles übertönenden Schrei herausstießen: »Zur Schlachterei! zur Schlachterei! zur Schlachterei!«
    Es schien, als ob ein großer Schauder, der Eiswind eines Leichenhauses, vorüberwehte. Ein plötzliches Schweigen entstand, in dem Loubets Hohngelächter ertönte.
    »Sind auch nicht gerade vergnügt, die Kameraden!«
    »Aber sie haben recht!« fing Chouteau mit seiner Kneipenrednerstimme wieder an; »es ist ekelhaft, einen Haufen fixe Jungens

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