Der Zusammenbruch
Entscheidungen aber stimmten sie nur wenig überein, abgesehen von den aus ihnen hergeleiteten Ergebnissen: daß General Trochu zum Gouverneur von Paris ernannt und Marschall Mac Mahon an die Spitze der Heeresgruppe von Chalons gestellt sei, was das vollständige Beiseiteschieben des Kaisers in sich schloß. Es herrschte ein Gefühl von Bestürzung, eine gewaltige Unentschlossenheit, entgegengesetzte Pläne, die sich bekämpften und alle Stunden wechselten. Und immer wieder tauchte die Frage auf: wo waren nur die deutschen Heere? Wer hatte recht: diejenigen, die behaupteten, es stände Vazaine noch frei, seinen Rückzug auf die Plätze des Nordens durchzuführen, oder die, die erklärten, er sei schon vor Metz eingeschlossen? Ein unaufhörliches Raunen von Riesenschlachten, von heldenhaften Kämpfen lief umher, die vom 14. bis 20. eine ganze Woche lang gedauert hätten, ohne daß sich etwas anderes herausschälen ließ als ein furchtbarer, in der Ferne sich verlierender Waffenlärm.Nun setzte sich Maurice mit vor Müdigkeit zerschlagenen Beinen auf eine der Bänke. Die Stadt schien rings um ihn her ihr tägliches Leben zu führen, und Kindermädchen paßten unter den schönen Bäumen auf die Kinder, während kleine Rentner gemächlichen Schrittes ihren gewohnten Spaziergang machten. Er nahm seine Zeitung wieder vor, als er auf einen Schriftsatz stieß, der ihm bisher entgangen war, einen Aufsatz in einem Blatte schärfster republikanischer Opposition. Plötzlich wurde ihm alles klar. Die Zeitung bestätigte, daß in dem am 17. im Lager von Châlons abgehaltenen Kriegsrat der Rückzug der Heeresgruppe auf Paris beschlossen worden und die Ernennung General Trochus nur durchgeführt sei, um die Rückkehr des Kaisers vorzubereiten. Aber er fügte hinzu, daß diese Beschlüsse an der Haltung der Kaiserin-Regentin und des neuen Ministeriums gescheitert seien. Für die Kaiserin stände der Ausbruch des Umsturzes fest, falls der Kaiser zurückkehre. Man schob ihr das Wort unter: »er würde nicht mehr lebendig die Tuilerien erreichen.« Ebenso bestand sie mit ihrem ganzen starrköpfigen Willen auf dem Vormarsch, auf der Vereinigung mit der Heeresgruppe von Metz unter allen Umständen, worin sie übrigens vom General Palikao, dem neuen Kriegsminister, unterstützt wurde, der den Plan eines blitzschnellen Siegesmarsches zur Vereinigung mit Bazaine gefaßt hatte. Und als die Zeitung jetzt auf seine Knie glitt und sein Blick sich verlor, glaubte Maurice alles zu verstehen: die beiden sich bekämpfenden Pläne, das Zaudern Marschall Mac Mahons, den so gefährlichen Flankenmarsch mit so wenig in sich gefestigten Truppen zu unternehmen, die ungeduldigen, immer gereizteren Befehle, die aus Paris kamen und ihn endlich in dies närrische Wagnis hineinstürzten. Plötzlich sah er klar die Erscheinungdes Kaisers inmitten dieses Trauerspiels vor sich, seiner kaiserlichen Würde entkleidet, die er den Händen der Kaiserin-Regentin anvertraut hatte, seiner Gewalt als Oberbefehlshaber beraubt, mit dem er den Marschall Bazaine soeben bekleidet hatte, in Zukunft nichts weiter als der Schatten eines Kaisers, unbestimmt und unklar, eine namenlose, überall im Wege stehende Nutzlosigkeit, mit der man nichts anzufangen wußte, die Paris von sich stieß und für die im Heere kein Platz mehr war, seitdem er sich dazu verstanden hatte, keinen Befehl mehr zu erteilen.
Am folgenden Morgen indessen, nach einer stürmischen Nacht, die er, in seinen Mantel gewickelt, vor dem Zelte schlief, kam Maurice das tröstliche Bewußtsein, daß der Rückzug auf Paris entschieden die Oberhand behalten hatte. Es hieß, es habe ein neuer Kriegsrat am Abend vorher stattgefunden, dem der frühere Vizekaiser Mr. Rouher beigewohnt hätte, der von der Kaiserin geschickt worden sei, um den Marsch auf Verdun zu beschleunigen, und daß der Marschall diesen von der Gefährlichkeit einer solchen Bewegung überzeugt zu haben scheine. Waren schlechte Nachrichten von Bazaine eingetroffen? Das wagte man nicht zu bestätigen. Aber das Ausbleiben von Nachrichten war an sich selbst schon bezeichnend; alle einigermaßen verständigen Offiziere erklärten sich für das Abwarten vor Paris, für das man so durch diese Heeresgruppe eine Sicherung bilden könnte. Und in der Überzeugung, daß es am nächsten Morgen zurückgehen würde, da es hieß, der Befehl sei schon ausgefertigt, wollte sich Maurice in seinem Glück einen ihn ganz erfüllenden kindlichen Wunsch befriedigen: einmal
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