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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Riesengebärde von West nach Ost, daß er den ganzen Himmel zu umfassen schien.
    »Feiglinge! Da ist der Rhein nicht!... Da hinten ist er, ihr Feiglinge!«
    Endlich ging's weiter, und Maurice, der in diesem Augenblick gerade auf Jeans Gesicht blickte, sah, daß dem die Augen voll großer Tränen standen. Er fühlte sich heftig bewegt; sein eigenes Unglück wuchs bei dem Gedanken, daß selbst so ein Vieh diese Kränkung fühlte, die sie hinnehmen mußten, wenn sie sie auch nicht verdient hatten. In seinem armen schmerzenden Kopf ging alles durcheinander; er konnte sich später nicht mehr darauf besinnen, wie er den Marsch beendigt hatte.Das siebente Korps hatte den ganzen Tag gebraucht, um die dreiundzwanzig Kilometer zurückzulegen, die Dannemarie von Belfort trennen; von neuem sank die Nacht hernieder, und es wurde spät, ehe man die Truppen unter den Mauern des Platzes ins Biwak bringen konnte, an demselben Ort, von dem sie vor vier Tagen aufgebrochen waren, um gegen den Feind zu marschieren. Trotz der vorgerückten Stunde und der äußersten Ermüdung wollten die Soldaten unbedingt ihre Kochfeuer anzünden und Suppe kochen. Seit dem Aufbruch war es das erstemal, daß sie etwas Warmes bekamen. Und um die Feuer herum in der Frische der Nacht senkten sich die Nasen in die Schüsseln, Seufzer des Wohlbehagens wurden laut, als ein Gerücht entstand, das das Lager in Erstaunen versetzte. Unmittelbar nacheinander waren zwei Depeschen gekommen: die Preußen hatten den Rhein bei Markolsheim gar nicht überschritten, und in Hüningen stand kein einziger von ihnen. Der Rheinübergang bei Markolsheim, die beim Scheine mächtiger elektrischer Lampen gebaute Pontonbrücke, all diese beunruhigenden Erzählungen waren einfach nichts weiter als ein Alpdruck, eine unerklärliche Sinnestäuschung des Unterpräfekten von Schlettstadt. Und nun gar das Armeekorps, das Hüningen bedrohte, das berüchtigte Armeekorps des Schwarzwaldes, vor dem das Elsaß zitterte, das bestand nur aus einer winzigen württembergischen Abteilung von zwei Bataillonen und einer Schwadron, deren geschicktes Verfahren, wiederholtes Hin- und Hermarschieren und unvorgesehenes, plötzliches Auftauchen den Glauben an das Vorhandensein von dreißig- bis vierzigtausend Mann erweckt hatte. Und dann sich sagen zu müssen, daß sie noch fast am selben Morgen den Viadukt von Dannemarie gesprengt hatten! Zwanzig Meilen einer reichen Gegendwaren ohne jeden Grund in törichter Angst verwüstet; und wenn sie daran dachten, was sie an diesem jammervollen Tage gesehen hatten, wie die Einwohner wie Verrückte flohen, ihr Vieh in die Berge trieben, wie der Strom der mit Hausrat beladenen Fahrzeuge sich inmitten der Herde der Weiber und Kinder gegen die Stadt hinzog, dann machten die Soldaten ihrem Arger durch verzweifelte Spottreden Luft.
    »Ach nein, das ist wirklich zu ulkig!« brachte Loubet undeutlich heraus, indem er mit vollem Munde seinen Löffel schwang. »Was? da steht der Feind, gegen den wir kämpfen sollten? Kein Mensch war da! ... Zwölf Meilen vorwärts, zwölf Meilen zurück und keine Katze vor uns! Alles das für gar nichts, rein, um mal aus Spaß bange zu sein!«
    Chouteau, der heftig seine Schüssel ausleckte, blökte dann gegen die Generäle los, ohne sie bei Namen zu nennen.
    »Nicht wahr? solche Schweinehunde! das sind schöne Schafsköpfe! Da hat man uns feine Hasen gegeben! Wenn sie schon so ausrücken, wo doch niemand da war, nicht wahr? Hätten die erst ihre Beine unter den Arm genommen, wenn sie einer richtigen Armee gegenübergestanden hätten!«
    Sie hatten wieder einen Arm voll Holz aufs Feuer geworfen, rein aus Freude, daß die Flamme so hoch emporstieg, als Lapoulle, der sich behaglich die Beine wärmen wollte, in ein wahnsinniges Gelächter ohne Sinn und Verstand ausbrach; und nun wagte Jean, der erst den Tauben gespielt hatte, in seiner väterlichen Art einzuwerfen: »Seid doch still! ... Wenn euch jemand hört, kann's schief gehen!«
    Maurice saß still für sich und ließ den Kopf hängen. Ach, das war wohl das Ende! Kaum angefangen, und alles war vorbei! Diese Zuchtlosigkeit, diese Widersetzlichkeit der Leute beim ersten Rückschlag hatten das Heer bereits zu einer zusammenhanglosenBande ohne jeden sittlichen Halt gemacht, die für jeden Zusammenbruch reif war. Hier vor Belfort hatten sie noch keinen Preußen gesehen und waren schon geschlagen.
    Die folgenden Tage waren bei ihrer Einförmigkeit voller Schauer der Erwartung und des Unbehagens.

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