Der Zusammenbruch
werdenden Langsamkeit an zu reden, die jedoch mit dem flammenden Zorne des Rächers durchsetzt war.
»Ich bin Vorsitzender und öffentlicher Ankläger zugleich. Das ist zwar nicht ganz ordnungsmäßig, aber wir sind hier zu wenig ... Also ich klage dich an, daß du nach Frankreich gekommen bist, um uns auszuspionieren, so daß du das an unsern Tischen gegessene Brot mit schmutzigstem Verrat bezahlt hast. Du bist doch die Hauptursache unseres Unglücks, duVerräter du, denn du hast die Bayern nach dem Gefecht bei Nouart in der Nacht durch die Wälder von Dieulet und Beaumont geführt. Man muß schon lange in unserm Lande gelebt haben, um auch die kleinsten Wege so zu kennen; und wir sind unerschütterlich überzeugt, daß du gesehen hast, wie du die Artillerie über geradezu scheußliche Wege geführt hast, die schon derart in Schlammströme verwandelt waren, daß acht Pferde vor jedes Geschütz gespannt werden mußten. Wenn man sich die Wege ansieht, sollte man es nicht für möglich halten, daß ein Armeekorps hier hat durchkommen können ... Ohne dich, ohne dein Verbrechen, daß du es dir erst bei uns gemütlich gemacht und uns nachher verkauft hast, hätte die Überraschung bei Veaumont nicht stattgefunden, wir wären nicht nach Sedan gegangen und hätten am Ende euch verhauen. Ich rede gar nicht von dem ekelhaften Geschäft, das du jetzt hier treibst, von der Frechheit, mit der du hier als Sieger wieder auftrittst und nun arme Leute anzeigst und vor dir zittern machst ... Du bist ein hundsgemeiner Strolch, und ich beantrage die Todesstrafe.«
Alles schwieg. Er hatte sich wieder hingesetzt und sagte endlich:
»Ich übertrage Ducat das Amt als dein Verteidiger ... Er ist Gerichtsvollzieher gewesen und hätte es ohne seine kleinen Leidenschaften sehr weit gebracht. Du siehst, wir verweigern dir nichts und sind sehr zuvorkommend.«
Goliath, der keinen Finger rühren konnte, wandte die Augen zu seinem Stegreifverteidiger. Nur seine Augen ließen erkennen, daß er noch lebte, diese Augen voll glühendsten Flehens unter der leichenblassen Stirn, von der trotz der Kälte der Angstschweiß in dicken Tropfen herablief.
»Meine Herren,« begann Ducat seine Verteidigung,nachdem er aufgestanden war, »mein Schutzbefohlener ist tatsächlich der ekelhafteste aller Strolche, und ich würde mich nicht dazu hergeben, ihn zu verteidigen, wenn ich nicht zu seiner Entschuldigung anführen müßte, daß sie dort drüben in seinem Lande alle so sind ... Sehen Sie ihn nur an, und Sie können an seinen Augen sehen, wie erstaunt er darüber ist. Er begreift sein Verbrechen gar nicht. In Frankreich fassen wir unsere Spione nur mit Zangen an; dort drüben dagegen ist Spionieren ein ehrenwerter Beruf, eine verdienstvolle Art, dem Lande zu dienen ... Ich möchte mir sogar gestatten zu sagen, meine Herren, sie haben vielleicht gar nicht so unrecht damit. Unsere edlen Gefühle machen uns alle Ehre, aber das Schlimme ist eben, daß wir uns haben schlagen lassen. Wenn ich mich so ausdrücken darf,
quos vult, perdere Jupiter dementat
... Sie werden verstehen, meine Herren.«
Er setzte sich wieder, und dann begann Sambuc aufs neue:
»Und du, Cabasse, hast du nichts für oder wider den Angeklagten vorzubringen?«
»Ich möchte sagen,« schrie der Provenzale, »daß wir mit dem Satan da manches ins reine zu bringen haben ... Ich habe allerlei Arger in meinem Dasein gehabt; aber mit Gerichtssachen mag ich keinen Spaß treiben, das bringt Unglück ... Den Tod! Den Tod!«
Feierlich war Sambuc wieder aufgestanden.
»Also das ist euer beider Urteilsspruch ... der Tod?«
»Jawohl! Jawohl! Der Tod!«
Die Stühle wurden zurückgestoßen, er trat zu Goliath und sagte:
»Das Urteil ist gesprochen, du mußt sterben.«
Die beiden Kerzen brannten wie Wachskerzen mit langen Dochten rechts und links neben dem verfallenen GesichtGoliaths. Er machte eine solche Anstrengung, um sie um Gnade anzuflehen, um Worte herauszubrüllen, an denen er erstickte, daß das blaue Taschentuch über seinem Munde sich mit Schaum durchtränkte; es war schrecklich, dieser zum Stillschweigen gezwungene Mensch, der mit einer Flut von in der Kehle steckengebliebener Erklärungen und Bitten sterben sollte.
Cabasse lud den Revolver.
»Soll ich ihm den Schädel zerschmettern?« fragte er.
»Ah nein, nein!« rief Sambuc, »das könnte ihm gerade so passen.«
Und dann wandte er sich wieder zu Goliath:
»Du bist kein Soldat, du verdienst nicht die Ehre, mit 'ner Kugel im Kopfe
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