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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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geschwatzt haben; denn eines Abends wurden der Ortsvorsteher von Remilly und Vater Fouchard verhaftet und des Unterhaltens von Beziehungen zu den Franktireurs beschuldigt, denen man diese Tat zur Last legte. Und Vater Fouchard benahm sich in dieser Notlage wirklich großartig mit seinem Gleichmut eines alten Bauern, der ganz genau weiß, welch unüberwindliche Kraft Ruhe und Schweigen innewohnt. Sie würden schon sehen. Im Lande hieß es, er hätte aus den Preußen bereits ein mächtiges Vermögen herausgezogen, ganze Säcke von Talern, die er irgendwovergraben hätte, einen nach dem andern, wie er sie gewonnen hätte.
    Als Henriette diese Geschichte hörte, wurde sie schrecklich unruhig. Jean fürchtete von neuem, seine Wirte bloßzustellen, und wollte fort, obwohl der Doktor ihn noch viel zu schwach fand; aber sie blieb fest, daß er noch etwa vierzehn Tage warten müsse; denn sie fühlte sich selbst angesichts der Notwendigkeit der so baldigen Trennung von doppelter Traurigkeit erfüllt. Nach der Verhaftung hatte Jean entweichen können und sich tief in der Scheune versteckt; aber schwebte er nicht trotzdem dauernd in Gefahr, entdeckt und weggeführt zu werden, falls neue Nachforschungen angestellt werden sollten? Sie zitterte übrigens auch für das Schicksal ihres Ohms. So entschloß sie sich denn eines Morgens, nach Sedan zu gehen und die Delaherches aufzusuchen, die bei sich, wie ihr bestätigt wurde, einen sehr einflußreichen preußischen Offizier wohnen hatten.
    »Silvine,« sagte sie beim Weggehen, »paßt gut auf unsern Kranken, gebt ihm mittags seine Brühe und laßt ihn um vier Uhr seine Arznei einnehmen.«
    Die Magd war über ihren gewohnten Beschäftigungen wieder ganz das mutige, unterwürfige Mädchen geworden und leitete den Hof jetzt in Abwesenheit ihres Herrn, während Karlchen um sie herum lachte und sprang.
    »Seien Sie unbesorgt, Frau Weiß, es soll ihm an nichts fehlen. Ich will ihn schon hätscheln.«
     

6.
    Bei den Delaherches in der Rue Macqua in Sedan hatte das Leben nach den fürchterlichen Erschütterungen derSchlacht und der Übergabe seinen alten Gang wieder aufgenommen, und seit bald vier Monaten folgte ein Tag dem andern unter dem trüben Drucke der preußischen Besetzung.
    Aber ein Winkel des mächtigen Fabrikgebäudes blieb vor allen andern verschlossen, als werde er gar nicht mehr bewohnt: das war das nach der Straße hinaus gelegene Zimmer am Ende der herrschaftlichen Wohnung, das Oberst von Vineuil immer noch innehatte. Während alle andern Fenster sich öffneten und ein ewiges Kommen und Gehen lauten Lärm des Lebens hören ließen, waren sie in diesem Zimmer mit ihren hartnäckig geschlossenen Laden wie tot. Der Oberst klagte über seine Augen, und daß helles Licht ihre Schmerzhaftigkeit erhöhe, wie er sagte; und da sie nicht wußten, ob er die Unwahrheit sagte, ließen sie, um ihn zufriedenzustellen, tags und nachts eine Lampe bei ihm brennen. Zwei Monate lang hatte er das Bett hüten müssen, obwohl Stabsarzt Bouroche nur einen Sprung im Knöchel festgestellt hatte: die Wunde schloß sich nicht, und alle möglichen Arten von Verwicklungen traten hinzu. Jetzt stand er zwar auf, befand sich aber in einem derartigen Zustande seelischer Niedergeschlagenheit, fiel einem so unendlich hartnäckigen, ungestümen Leiden zur Beute, daß er seine ganzen Tage, auf dem Ruhebett liegend, vor einem großen Holzfeuer verbrachte. Er magerte so ab, daß er nur noch einem Schatten glich, ohne daß der ihn behandelnde Arzt zu seiner Verwunderung irgendwelche Verletzung als Ursache dieses langsamen Absterbens hätte feststellen können; er verlöschte wie eine Flamme.
    Und Frau Delaherche, die Mutter, hatte sich mit ihm seit dem Tage nach der Übergabe eingeschlossen. Sie mußten sich zweifellos mit ein paar Worten ein für allemal verständigt haben über ihren förmlichen Wunsch, sich solange in diesemZimmer in klösterlicher Abgeschlossenheit zu halten, als Preußen im Hause wohnten. Viele hatten hier schon zwei oder drei Nächte zugebracht; ein Hauptmann, Herr von Gartlauben, schlief dort noch auf die Dauer. Übrigens hatten weder der Oberst noch die alte Dame je wieder über diese Sachen gesprochen. Trotz ihrer achtundsiebzig Jahre stand sie beim ersten Tagesgrauen auf und ließ sich ihrem Freunde gegenüber in der andern Kaminecke in einen Lehnstuhl nieder; und in dem unbeweglichen Schein ihrer Lampe ging sie ans Strümpfestricken für arme Kinder, während er, die Augen fest auf die

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