Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
... Und den Kleinen da nehme ich auch und schicke ihn dort unten hin zu meiner Mutter, die sehr froh sein wird, wenn sie ihn hat; denn von dem Augenblicke an, wo du mit mir brechen willst, gehört er mir ... Nicht wahr? Ich brauche bloß zu kommen und ihn zu holen, denn hier ist ja dann niemand mehr. Ich bin hier Herr und tue, was mir Spaß macht ... Was wirst du nun tun, sag'!«
    Aber sie antwortete nicht, sie preßte nur ihr Kind stärker an sich, als befürchtete sie, er möchte es ihr sofort entreißen; und in ihren großen Augen stiegen Furcht und Abscheu auf.
    »Schön, ich lasse dir drei Tage zum Nachdenken ... Du läßt das Kammerfenster offen, das nach dem Obstgarten hinausgeht ... Finde ich das Fenster Montag abend um sieben Uhr nicht offen, lasse ich am nächsten Tage alle deine Leute verhaften und ich komme und hole den Kleinen. Auf Wiedersehen, Silvine!«
    Er ging ruhig fort; sie aber blieb wie angewurzelt auf derselben Stelle stehen; der Kopf summte ihr von so mächtigen, so schrecklichen Gedanken, daß sie sich ganz blödsinnig vorkam. Und während des ganzen Tages tobte dieser Sturm in ihr weiter. Zunächst kam ihr der Gedanke, das Kind auf den Arm zu nehmen und gerade vor sich fortzugehen, einerlei wohin: nur was sollte werden, wenn es Nacht würde? Wie sollte sie für ihn und sich einen Lebensunterhalt gewinnen? Und dabei rechnete sie noch gar nicht einmal mit, daß doch die Preußen alle Wege unsicher machten, sie vielleicht festnehmen, zurückbringen würden. Dann tauchte der Plan in ihr auf, mit Jean zu sprechen und Prosper und selbst Vater Fouchard zu benachrichtigen; aber von neuem zögerte sie und scheute zurück: war sie denn der Freundschaft dieser Leuteso sicher, um die Gewißheit zu haben, sie würden sie nicht einfach ihrer aller Sicherheit zum Opfer bringen? Nein, nein, sie wollte niemand etwas sagen, sie wollte sich allein aus der Gefahr ziehen, die sie ja auch allein durch ihre starrköpfige Weigerung veranlaßt hatte. Aber was konnte sie aussinnen? Wie sollte sie dies Unglück verhindern? Denn ihre Ehrlichkeit bäumte sich auf; nie hätte sie es sich verziehen, wenn durch ihre Schuld das Verhängnis über so viele Leute hereingebrochen wäre, vor allem über Jean, der sich so nett gegen Karlchen benahm.
    Die Stunden liefen hin, der nächste Tag verrann und sie hatte noch nichts gefunden. Sie ging wie gewöhnlich ihren Geschäften nach, fegte die Küche aus, versorgte die Kühe, kochte Suppe. Und was sie bei ihrem völligen Schweigen, bei dem schrecklichen Schweigen, das sie hartnäckig weiter beobachtete, immer mehr in sich aufsteigen fühlte, und was sie von Stunde zu Stunde mehr vergiftete, das war ihr Haß gegen Goliath. In ihm lag ihre Sünde, ihre Verdammung. Ohne ihn hätte sie auf Honoré gewartet, würde Honoré noch am Leben und sie selbst glücklich sein. Mit was für einem Tone hatte er ihr zu verstehen gegeben, daß er jetzt der Herr sei! Das war übrigens wahr, es gab keine Gendarmen mehr, keine Richter, an die sie sich hätte wenden können; nur die Macht hatte noch Recht. Oh! Die Stärkere zu sein, ihn zu packen, wenn er käme, ihn, der davon redete, die andern zu packen! Für sie gab es nur das Kind, das von ihrem Fleische war. Dieser Zufallsvater rechnete gar nicht mit, hatte nie gerechnet. Sie war nicht seine Frau; sie fühlte sich im Gegenteil von einem rasenden Zorn, von dem Widerwillen der Überwundenen aufgestachelt, sobald sie nur an ihn dachte. Ehe sie sich ihm hingäbe, würde sie eher das Kind und dannsich selbst umbringen. Und das hatte sie ihm ja auch gesagt: dies Kind, mit dem er ihr nur ein Geschenk des Hasses gemacht hatte, das wünschte sie bereits erwachsen zu sehen, fähig, sie zu verteidigen; sie sah es schon später mit der Waffe ausziehen und ihnen allen dort drüben das Fell durchbohren. Ah! Jawohl, ein Franzose mehr, ein Franzose, der Preußen töten könnte!
    Indessen blieb ihr nur noch ein Tag, und sie mußte einen Entschluß fassen. Gleich in der ersten Minute war ihr in der Fassungslosigkeit ihres armen kranken Hirns ein grausiger Gedanke durch den Sinn gefahren: die Franktireurs zu benachrichtigen und Sambuc den Fingerzeig zu geben, auf den er lauerte. Aber der Gedanke war flüchtig und undeutlich geblieben und sie hatte ihn als zu ungeheuerlich von sich gescheucht; sie mochte auch gar nicht über ihn nachdenken: war denn dieser Mensch nicht schließlich doch der Vater ihres Kindes? Sie konnte ihn nicht ermorden lassen. Dann aber war der

Weitere Kostenlose Bücher