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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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größte Vorsicht anempfohlen; und dann führte sie sie in ihre Kammer und stellte sie rechts und links vom Fenster auf, das sie trotz der großen Kälte offen ließ. Es herrschte tiefe Finsternis; der Raum wurde nur durch den Widerschein des Schnees erhellt; Todesschweigen lag über der Landschaft; unendlich rannen die Minuten dahin. Bei dem leichten Geräusch näherkommender Schritte ging Silvine heraus, um sich wieder in die Küche zu setzen, wo sie unbeweglich, ihre großen Augen auf die Kerzenflamme geheftet, wartete.
    Es dauerte noch recht lange; Goliath strich erst um den Hof, ehe er sich weiterwagte. Er glaubte die junge Frau zu gut zu kennen und wagte es deshalb, nur mit einem Revolver im Gurt herzukommen. Aber ein gewisses Unbehagen warnte ihn; er stieß das Fenster ganz auf und rief leise, indem er den Kopf vorstreckte:
    »Silvine! Silvine!«
    Da er das Fenster offen fand, hatte sie es sich also überlegt und nachgegeben. Das freute ihn sehr, wenn er es auch lieber gesehen hätte, sie hätte ihn selbst empfangen, um es ihm zu versichern. Zweifellos hatte Vater Fouchard sie zurückgerufen, um irgend etwas fertigzumachen. Er hob seine Stimme ein wenig.
    »Silvine! Silvine!«
    Nichts antwortete, kein Hauch. Nun kletterte er über die Fensterbrüstung mit der Absicht ins Zimmer, sich sofort in das Bett hineinzuwühlen und sie unter der Decke zu erwarten; so kalt war es.
    Plötzlich entstand ein wütendes Gedränge, Füßetrampeln, Ausrutschen unter ersticktem Fluchen und Röcheln. Sambuc und die beiden andern hatten sich auf Goliath gestürzt; aber trotz ihrer Überzahl konnten sie den Riesen nicht überwältigen, dessen Kräfte die Gefahr verzehnfachte. In der Finsternis hörte man das Krachen ihrer Gliedmaßen, die ächzenden Anstrengungen ihres Ringens. Glücklicherweise war ihm der Revolver entfallen. Eine Stimme, die Cabasses, stammelte ganz erstickt: »Die Stricke, die Stricke!« während Ducat Sambuc das Bündel Stricke hinreichte, mit dem sie sich vorsichtigerweise versehen hatten. Nun kam es zu einem wilden, sich unter Fußtritten und Faustschlägen abspielenden Vorgange; zuerst wurden ihm die Beine gebunden, dann die Arme gegen die Seiten, dann der ganze Körper unter Hin- und Hertasten und allen möglichen plötzlichen Seitensprüngen mit einem derartigen Aufwand an Umschlingungen und Knoten umschnürt, daß der Mann wie in einen Netz gefangen war, dessen Maschen ihm ins Fleisch schnitten. Er schrie fortwährend, und Ducats Stimme fing immer dagegen an: »Halt doch's Maul!« Die Schreie hörten auf, Cabasse hatte ihm roh ein altes blaues Taschentuch über den Mund gebunden. Endlich verpusteten sie sich und trugen ihn wie einen Ballen in die Küche, wo sie ihn auf den großen Tisch neben die Kerze legten.
    »Ah, der Dreckpreuße!« fluchte Sambuc und wischte sich die Stirn ab, »der hat uns schön zu schaffen gemacht! ... Sagt mal, Silvine, steckt doch mal eine zweite Kerze an, damit man es ordentlich sehen kann, das Herrgottsschwein da!«
    Mit weit aufgerissenen Augen in dem bleichen Gesicht war Silvine aufgestanden. Sie äußerte kein Wort, sie steckte eine andere Kerze an und stellte sie sogleich neben Goliaths Kopf,der nun lebhaft erhellt zwischen den beiden Wachskerzen sichtbar wurde. Und in diesem Augenblick trafen ihre Blicke zusammen: er flehte sie betäubt, von Furcht gepackt an; aber sie schien ihn nicht zu verstehen; sie wich bis an die Anrichte zurück und blieb aufrecht mit verbissener, eisiger Miene stehen.
    »Der Teufel hat mir den halben Daumen abgebissen,« schimpfte Cabasse, dem die Hand blutete. »Muß ihm dafür irgend was wieder zerbrechen!«
    Er hob schon den Revolver, den er wieder aufgenommen hatte, als Sambuc ihn entwaffnete.
    »Nein, nein, keine Dummheiten! ... Wir sind doch keine Räuber, wir sind doch Richter ... Hörst du, du Preußenschwein, wir wollen über dich zu Gericht sitzen; brauchst nicht bange sein, wir achten auch das Recht auf Verteidigung ... Selbst sollst du dich allerdings nicht verteidigen, denn wenn wir dir den Maulkorb abnehmen, schreist du uns ja die Ohren kaputt. Aber ich will dir sofort einen Anwalt geben, und zwar einen berühmten!«
    Dann holte er drei Stühle und setzte sie in eine Reihe, worauf er, wie er sagte, einen Gerichtshof einsetzte, sich selbst in die Mitte und rechts und links neben sich seine beiden Leutnants. Alle drei setzten sich, und dann stand er wieder auf und fing nun mit einer spöttischen, allmählich breiter und breiter

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