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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Gedanke wiedergekommen, hatte sie allmählich gefangengenommen, war dringlicher geworden; und jetzt drängte er sich ihr mit all der sieghaften Kraft seiner Einfachheit, seiner Unbedingtheit auf. Sobald Goliath tot war, hatten Jean, Prosper, Vater Fouchard nichts mehr zu befürchten. Sie selber konnte Karlchen behalten und niemand ihn ihr mehr streitig machen. Und da war noch etwas, etwas ganz Tiefes, ihr selbst Unbekanntes, das aus der Tiefe ihres Wesens emporstieg: die Notwendigkeit, zu einem Ende zu kommen, die Vaterschaft durch den Untergang des Vaters auszulöschen, die wilde Freude, sich endlich sagen zu können, dann würde sie dastehen, als sei ihr Fehltritt von ihr genommen, wenn sie als Mutter die einzige Herrin über das Kind wäre, ohne Teilhaberschaft irgendeines männlichen Wesens. Noch einen ganzenTag lang wälzte sie diesen Plan im Kopfe herum und fand nicht mehr die Kraft, ihn von sich zustoßen; wider Willen kam sie auf alle Einzelheiten eines Hinterhaltes zurück, dachte sich seine geringsten Einzelheiten aus und legte sie zurecht. Jetzt wurde er zu einer ganz bestimmten Vorstellung, zu einer Vorstellung, die Boden gefaßt hat, die man nicht weiter abwägt; und als sie schließlich zum Handeln überging, diesem Drange, dem unwiderstehlichen, zu gehorchen, da ging sie wie im Traume umher, unter dem Willen eines andern Wesens, eines, das sie nie zuvor in sich gekannt hatte.
    Am Sonntag hatte Vater Fouchard in seiner Unruhe die Franktireurs wissen lassen, daß er ihnen ihren Sack mit Brot in die Steinbrüche von Boisville bringen lassen würde, einem sehr einsamen, zwei Kilometer entfernten Winkel; und da Prosper zu tun hatte, schickte er Silvine mit dem Schiebkarren hin. Führte da nicht das Schicksal selbst die Entscheidung herbei? Hier sah sie einen Ratschluß des Geschickes; sie sprach mit Sambuc und gab ihm ein Stelldichein für den nächsten Abend mit klarer Stimme, ohne fieberhafte Aufregung, als hätte sie gar nicht anders gekonnt. Am nächsten Tage fand sie noch mehr Zeichen, ganz bestimmte Hinweise darauf, daß die Menschen, die Dinge selbst den Mord wollten. Zunächst wurde Vater Fouchard ganz unvermutet nach Raucourt gerufen und ließ den Befehl zurück, sie sollten ohne ihn zu Abend essen, da er voraussah, daß er vor acht Uhr nicht wieder zu Haufe sein könne. Dann bekam Henriette, die erst wieder am Mittwoch Nachtwache haben sollte, sehr spät noch die Nachricht, sie müsse am Abend die plötzlich unwohl gewordene Diensttuerin vertreten. Und da Jean seine Kammer nicht verließ, einerlei, was für Geräusche er auch hörte, so blieb nur noch Prospers Dazwischenkommen zu befürchten.Er war nicht dafür zu haben, zu mehreren einen Menschen umzubringen. Als er aber seinen Bruder mit seinen beiden Leutnants daherkommen sah, da trat der Widerwillen gegen diese ekelhaften Gesellen vor seinem Abscheu gegen die Preußen zurück: gewiß, retten würde er keinen von ihnen, von diesen Drecklümmeln, und würde es ihm in noch so widerlicher Weise besorgt; und so zog er es vor, zu Bett zu gehen und den Kopf in den Kissen zu vergraben, um nichts zu hören und damit nicht in die Versuchung zu kommen, sich als Soldat benehmen zu müssen.
    Es war ein viertel vor sieben, und Karlchen wollte und wollte nicht einschlafen. Für gewöhnlich fiel ihm der Kopf auf den Tisch, sobald er seine Suppe gegessen hatte.
    »Komm, schlaf', mein Liebling,« wiederholte Silvine, die ihn in Henriettes Kammer gebracht hatte; »siehst du, hier hast du es gut in der großen Baba deiner lieben Freundin.«
    Aber das Kind geriet über dies unverhoffte Vergnügen erst recht außer sich vor Entzücken; es strampelte und lachte zum Ersticken.
    »Nein, nein ... Bleib', kleine Mutti! ... Spiel' mit mir, kleine Mutti!«
    In ihrer Geduld zeigte sie sich von äußerster Sanftmut und wiederholte aufs zärtlichste:
    »Nun mach' baba, mein Liebling ... mach' baba, mir zuliebe!«
    Und schließlich schlief das Kind mit einem Lächeln auf den Lippen ein. Sie nahm sich nicht die Mühe, es auszuziehen, sondern deckte es nur warm zu und ging fort, ohne den Schlüssel umzudrehen, da es für gewöhnlich fest schlief.
    Nie hatte Silvine sich so ruhig gefühlt, so klaren und lebhaften Sinnes. Sie hatte eine Raschheit des Entschlusses,eine Leichtigkeit in ihren Bewegungen, wie losgelöst von ihrem Körper, als handelte sie unter dem Antriebe dieses andern, das sie nicht kannte. Bereits hatte sie Sambuc mit Cabasse und Ducat hereingelassen und ihnen

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