Der Zusammenbruch
loszukommen ... Nein! Du sollst als das Dreckschwein von Spion verrecken, das du nun mal bist.«
Er drehte sich wieder um und fragte höflich:
»Silvine, ich möchte Euch nichts befehlen, aber ich möchte wohl einen Kübel haben.«
Silvine hatte sich während der Gerichtsverhandlung nicht gerührt. In der Zwangsvorstellung, die sie schon seit zwei Tagen vorwärts trieb, wartete sie mit starrem Gesicht wie geistesabwesend. Und als er nun von ihr einen Kübel verlangte, gehorchte sie ohne weiteres und verschwand eine Minute in der Vorratskammer nebenan; dann kam sie mit dem großen Kübel wieder, in dem sie Karlchens Wäsche zu waschen pflegte.
»Halt! Setzt ihn hier mal unter den Tisch, an den Rand.«
Sie setzte ihn dorthin, und als sie sich wieder erhob, trafen ihre Augen abermals auf Goliaths Augen. In dem Blicke des Elenden lag ein letztes Flehen, aber auch das Aufbäumen eines Menschen, der nicht sterben will. In ihr jedoch war indiesem Augenblicke nichts als die Frau, nichts als das Verlangen nach diesem Tode, auf den sie wie auf eine Erlösung wartete. Wieder wich sie bis an die Anrichte zurück und blieb dort stehen.
Sambuc machte den Tischaufzug auf und nahm ein großes Küchenmesser heraus, mit dem Speck geschnitten wurde.
»Weil du einmal ein Schwein bist, will ich dich auch wie ein Schwein abstechen.«
Er beeilte sich gar nicht, sondern überlegte mit Cabasse und Ducat, wie sie das Abschlachten auf die passendste Weise vornehmen könnten. Sie zankten sich sogar noch darüber, weil Cabasse behauptete in seinem Lande, in der Provence, stächen sie die Schweine mit dem Kopfe nach unten ab, während Ducat ärgerlich dagegen schrie, das müsse er als eine barbarische und unbequeme Art und Weise ansehen.
»Zieht ihn über den Tischrand her, über den Kübel, damit wir keine Flecken machen.«
Sie schoben ihn vorwärts, und Sambuc ging nun ganz ruhig und ordnungsmäßig zu Werke. Mit einem einzigen Schnitt des großen Messers schlitzte er ihm die Gurgel querüber auf. Aus der durchschnittenen Schlagader begann das Blut sofort mit dem leisen Geräusch eines Wasserhahnes in den Kübel zu laufen. Er hatte die Wunde möglichst klein gehalten; kaum ein paar Tropfen spritzten unter dem Drucke des Herzens über. Wenn der Tod hierdurch um so langsamer eintrat, so machten sich dafür so gut wie gar keine Zuckungen bemerkbar, denn die Stricke waren fest, und der Körper blieb vollkommen unbeweglich. Keine Erschütterung, kein Röcheln. Nur auf dem Gesicht konnten sie den Todeskampf verfolgen, auf der von Todesangst zerwühlten Larve, aus der das Blut Tropfen für Tropfen zurücktrat, deren Hautfarbe allmählichzu der Weiße eines Leintuches verblaßte. Auch die Augen wurden leer. Sie wurden trübe und erloschen.
»Sagt mal, Silvine, einen Schwamm müssen wir aber doch wohl haben.«
Aber sie antwortete nicht; sie hielt beide Arme in einer unbewußten Bewegung gegen ihre Brust gedrückt und blieb wie angenagelt, die Kehle wie von einem eisernen Bande zusammengeschnürt, auf den Fliesen stehen. Mit einem Male bemerkte sie dann, daß Karlchen auch da war und an ihren Röcken hing. Er war zweifellos aufgewacht und hatte sich die Tür aufmachen können; niemand hatte die leichten Tritte des neugierigen Knirpses hereinkommen hören. Wie lange mochte er wohl schon hier sein, so halb verborgen hinter seiner Mutter? Auch er sah zu. Mit seinen großen blauen Augen und dem gelben Schopfe sah er das Blut fließen, den dünnen roten Strahl, der den Kübel allmählich vollfüllte. Hatte er zuerst nichts begriffen? Wurde er jetzt von einem Hauche des Entsetzlichen gestreift, begriff er gefühlsmäßig das Abscheuliche, bei dem er dabei war? Er stieß plötzlich einen entsetzten Schrei aus.
»O Mama! O Mama! Bring' mich weg! Ich bin so bange!«
Silvine empfand einen Stoß, der sie ganz und gar in Verwirrung brachte. Das war zuviel, es brach etwas in ihr zusammen; endlich nahm der Schrecken diese Kraft, diese Überreizung von ihr, mit der ihre Zwangsvorstellung sie zwei Tage lang aufrechtgehalten hatte. Das Weib in ihr wurde wieder lebendig; sie brach in Tränen aus und bewegte sich wie eine Verrückte, indem sie Karlchen in die Höhe riß und ihn heftig ans Herz drückte. Und dann lief sie wie rasend mit ihm fort; sie konnte nichts mehr hören, nichts mehr sehen; sie hatte nurnoch den einen Drang, irgendwie zu verschwinden, sich in dem ersten besten Loch zu verbergen, das sie fände.
Gerade jetzt war auch Jean zu dem
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