Der Zusammenbruch
fühlt, ehe es sich noch über dem Horizont zeigt. Strenge Befehle für die gute Haltung der Nachhut wurden gegeben, und es gab keine Nachzügler mehr, da sie sicher waren, daß hinter dem Korps die Preußen alles aufheben würden. Deren Infanterie kam in blitzschnellen Märschen heran, während die französischen Regimenter, erschöpft und gelähmt, nicht von der Stelle kamen.
In Authe klärte der Himmel sich auf, und Maurice, der sich nach der Sonne richtete, bemerkte, daß sie, anstatt weiter gegen le Chêne hinaufzusteigen, das nur gute drei Meilen von dort entfernt war, sich wendeten, um genau gegen Osten zu marschieren. Es war zwei Uhr, und sie litten unter der erdrückendenHitze, während sie zwei Tage lang im Regen vor Frost geklappert hatten. Der Weg stieg in langen Windungen über einsame Ebenen aufwärts. Kein Baum, keine Seele, kaum hier und da ein kleines Gehölz inmitten der Trübseligkeit dieser kahlen Landschaft; und das traurige Schweigen der Einsamkeit hielt die Soldaten gepackt, die gesenkten Kopfes schwitzend die Füße nachschleppten. Endlich kam Saint-Pierremont, ein paar armselige Häuser auf einem kleinen Berge. Es ging nicht durch das Dorf; Maurice stellte fest, daß sie gleich links abbogen und die Richtung nach Norden gegen la Besace wieder aufnahmen. Er begriff, daß diesmal diese Richtung gewählt war, um unter allen Umständen Mouzon vor den Preußen zu erreichen. Aber würde man das mit derartig ermüdeten, mutlosen Truppen erreichen können? In Saint-Pierremont waren die drei Ulanen an einer entfernten Biegung der von Buzancy kommenden Straße wieder erschienen; und als die Nachhut das Dorf verließ, fing eine Batterie an zu spielen, und ein paar Granaten kamen, ohne Schaden anzurichten, auf sie zu. Man beantwortete sie nicht, sondern setzte den immer beschwerlicher werdenden Marsch fort.
Von Saint-Pierremont bis la Besace sind drei starke Meilen, und Jean, dem Maurice dies sagte, gab seine Verzweiflung durch eine Bewegung zu erkennen; nie würden die Leute zwölf Kilometer machen, das sah er an bestimmten Anzeichen, ihrer Atemlosigkeit, dem blöden Gesichtsausdruck. Der Weg stieg immer höher an zwischen zwei sich allmählich einander nähernden Hügeln. Sie mußten halten. Aber diese Rast machte ihnen die Glieder erst recht steif, und als es weiter gehen sollte, war es schlimmer als vorher: die Regimenter kamen nicht aus der Stelle, die Leute fielen um. Als Jeansah, wie Maurice erblaßte und vor Mattigkeit die Augen verdrehte, fing er gegen seine Gewohnheit an zu plaudern und versuchte ihn durch einen gehörigen Wortschwall wach zu halten, da er bei der gedankenlosen Bewegung des Marschierens das Bewußtsein verlor.
»Also deine Schwester wohnt in Sedan, da kommen wir vielleicht durch.«
»Durch Sedan, bewahre! Das liegt nicht auf unserm Wege; wir müßten verrückt sein.«
»Ist deine Schwester noch jung?«
»Sie ist ebenso alt wie ich; ich habe dir doch gesagt, daß wir Zwillinge sind.«
»Sieht sie dir ähnlich?«
»Ja, sie ist auch blond, ach! was für lockiges, weiches Haar! ... Eine ganz kleine, zierliche Gestalt und nicht laut, o nein! ... Liebe Henriette!«
»Ihr habt euch wohl sehr lieb?«
»Ja, ja ...«
Dann war es wieder still, und als Jean Maurice ansah, bemerkte er, wie dessen Augen sich schlossen und daß er fallen würde.
»He, mein armer Junge! ... halt dich doch, Himmelherrgottsdonnerwetter! Gib mir mal einen Augenblick deine Flinte, dann ruhst du dich aus ... Wir lassen ja die halben Leute auf der Straße liegen; es ist ja Gottes unmöglich, daß wir heute noch weiterkommen!«
Ihnen gegenüber bemerkte er jetzt Oches, dessen spärliches Gemäuer sich an einem Hügel heraufzog. Die ganz gelbe Kirche lag alles beherrschend hoch oben zwischen Bäumen.
»Da werden wir ganz sicher schlafen.«
Seine Ahnung war richtig. General Douay bemerkte diehochgradige Ermattung seiner Truppen und verzweifelte daran, heute noch la Besace zu erreichen. Was ihn aber vor allem zu diesem Entschluß brachte, war das Eintreffen des Trosses, dieses ärgerlichen Schwanzes, den er seit Reims hinter sich her schleppte und dessen drei Meilen Wagen und Viehzeug seinen Marsch so furchtbar erschwerten. Er hatte Befehl gegeben, ihn von Quatre-Champs unmittelbar nach Saint-Pierremont zu leiten; aber erst in Oches traten die Gespanne in einem solchen Erschöpfungszustande wieder zum Korps, daß die Pferde sich weigerten, weiterzugehen. Es war schon fünf Uhr. Der General fürchtete sich
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