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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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seinem Hügel wiedersahen, durch das sie erst am Abend gekommen waren, kam es ihnen ganz klar zum Bewußtsein, daß sie im Kreise herumliefen.
    »Gottsdonnerwetter!« brummte Chouteau, »denken die denn, wir wären Kreisel?«
    Und Loubet fügte hinzu:
    »Schöne Fünfgroschen-Generäle, die nicht hü und nicht hott wissen! Man sieht wohl, unsere Beine sind ihnen nicht viel wert.«
    Der Ärger war allgemein. So macht man doch die Leute nicht schlapp aus Vergnügen, sie spazierenzuschleppen! Über die kahle Ebene zogen sie zwischen weiten Geländefalten, in zwei getrennten Gruppen, eine an jeder Seite, zwischen denen die Offiziere sich frei bewegten; aber es war nicht mehr wie in der Champagne am Morgen nach Reims ein durch Scherze und Lieder erheitertes Marschieren, als sie ihren Tornister noch mit Vergnügen trugen und die Last auf ihren Schultern ihnen durch die Hoffnung erleichtert wurde, sie würden den Preußen zuvorkommen und sie schlagen: jetzt schleppten sie die Füße schweigend, gereizt nach, voller Wut über das Gewehr, das ihnen die Schulter zermalmte, über den Tornister, der sie erdrückte, ohne Vertrauen in ihre Führer, die sich in eine so verzweifelte Lage bringen ließen, und sie marschierten nur noch wie eine Herde unter der Drohung der Peitsche. Das unselige Heer begann seinen Leidensweg.
    Maurice war indessen seit einigen Minuten voller Aufmerksamkeit. Zur Linken stiegen einige Hügel hintereinander empor, und er hatte gerade aus einem kleinen Gehölz in der Ferne einen Reiter herauskommen sehen. Fast im selben Augenblick kam noch einer, dann wieder einer. Alle drei hielten bewegungslos, nicht größer als eine Hand hoch, scharf, fein gezeichnet, wie Spielzeug. Er dachte, es müßte ein vorgeschobener Posten der Husaren sein, ein paar zurückkommende Meldereiter, als blitzende Punkte auf ihren Schultern, zweifellosder Widerschein ihrer Messingepauletten, ihn in Erstaunen setzten.
    »Sieh mal da unten!« sagte er zu Jean, den er neben sich hatte, und stieß ihn mit dem Ellbogen an, »Ulanen!«
    Der Korporal riß die Augen auf.
    »Da!«
    Wirklich waren es Ulanen, die ersten Preußen, die die 106er sahen. In den sechs Wochen, die der Feldzug dauerte, hatte er nicht nur noch keinen Schuß abgefeuert, sondern auch noch keinen Feind gesehen. Das Wort lief weiter, alle Köpfe wandten sich in wachsender Neugierde. Sie sahen sehr gut aus, die Ulanen.
    »Der eine da sieht mal hübsch fett aus«, bemerkte Loubet.
    Aber links von dem Gehölz auf einem höheren Platze zeigte sich eine ganze Schwadron. Angesichts dieser drohenden Erscheinung machte die ganze Gruppe halt. Befehle kamen, die 106er nahmen Stellung hinter Bäumen am Rande eines Baches. Schon kam die Artillerie im Galopp zurück und pflanzte sich auf einer Kuppe auf. Zwei Stunden lang blieben sie so in Gefechtsstellung liegen; es wurde spät, ohne daß sich etwas Neues gezeigt hatte. Die Masse der feindlichen Kavallerie blieb unbeweglich am Horizont. Aber endlich begriffen sie, daß sie kostbare Zeit verloren, und zogen weiter.
    »Na ja,« murmelte Jean mit Bedauern, »diesmal war's noch nichts.«
    Auch Maurice brannten die Hände vor Begierde, wenigstens einen Schuß abzufeuern. Und er kam wieder auf den am Abend vorher begangenen Fehler zurück, daß man da nicht dem fünften Korps zu Hilfe gekommen sei. Wenn die Preußen überhaupt nicht angriffen, so mußte das doch seinen Grund darin haben, daß sie noch nicht genügend Infanterie zurVerfügung hatten, so daß die Maßnahmen ihrer Kavallerie keinen andern Zweck haben konnten, als die Korps auf ihrem Marsche hinzuhalten. Abermals ging man ihnen in die Falle. Und tatsächlich sahen die 106er von diesem Augenblick an fortwährend in jeder Geländefalte zu ihrer Linken Ulanen: sie folgten ihnen, beobachteten sie, verschwanden hinter einem Hof, um an der Ecke eines Gehölzes wieder aufzutauchen.
    Allmählich verloren die Soldaten ihre Nerven, als sie sahen, wie sie so aus der Entfernung eingewickelt wurden wie in den Maschen eines unsichtbaren Netzes.
    »Schließlich kommen sie uns aber zu dumm,« wiederholten selbst Pache und Lapoulle. »Es wäre doch noch ein Trost, wenn man ihnen mal eine blaue Bohne rüberschicken könnte.«
    Aber sie marschierten, sie marschierten immer weiter, voller Mühsal in einer bereits schwerfällig werdenden Gangart, die sie schnell ermüdete. In dem Unbehagen dieses Tagemarsches fühlte man von allen Seiten den Feind herankommen, wie man ein Gewitter heraufkommen

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