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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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vor einem Gefecht im Paß von Stonne und glaubte deshalb die vom Marschall festgelegte Tagesstrecke nicht vollenden zu sollen. Er ließ daher halten und lagern, den Troß unten auf den Wiesen unter dem Schutze einer Division, während die Artillerie als Nachhut auf den Hügeln Stellung bezog und die Brigade, die am nächsten Morgen als Nachhut dienen sollte, auf einem Hügel gegenüber Saint-Pierremont blieb. Eine andere Division, zu der die Brigade Bourgain-Desfeuilles gehörte, biwakierte hinter der Kirche auf einer weiten, von einem Eichengehölz umsäumten Fläche.
    Die Nacht brach schon herein, als die 106er sich endlich am Rande dieses Gehölzes einrichten konnten; eine solche Verwirrung hatte bei Auswahl und Zuteilung der Lagerplätze geherrscht.
    »Denk' nicht dran!« schrie Chouteau voller Wut, »ich esse nicht, ich schlafe!«
    Der Schrei wurde allgemein unter den Mannschaften. Viele hatten gar nicht mehr die Kraft, ihre Zelte aufzuschlagen, und schliefen wie eine leblose Masse, wo sie hinfielen. Um übrigens essen zu können, hätte auch eine Verteilungdurch die Intendantur stattfinden müssen; die Intendantur erwartete das siebente Korps aber in la Besace und war nicht in Oches. Bei der allgemeinen Verwahrlosung und Nachlässigkeit wurden nicht einmal die Korporale zusammengeblasen. Mochte sich verpflegen, wer konnte! Von diesem Zeitpunkt an fanden überhaupt keine Verteilungen mehr statt, und die Leute mußten von den Vorräten leben, die sie eigentlich in ihren Tornistern hätten haben sollen; die Tornister aber waren leer, nur ganz wenige fanden noch eine Brotrinde darin, die Krümel des Überflusses, mit dem sie in Vouziers ein Ende gemacht hatten. Kaffee hatten sie noch, und die am wenigsten Ermüdeten tranken auch wieder Kaffee ohne Zucker.
    Als Jean teilen und einen Zwieback selbst essen und den andern Maurice geben wollte, fand er diesen in tiefem Schlaf. Einen Augenblick dachte er daran, ihn zu wecken; dann steckte er gleichmütig die Zwiebäcke mit unendlicher Sorgfalt, als ob er Gold verberge, wieder tief in den Tornister: er selbst begnügte sich, ebenso wie die Kameraden, mit Kaffee. Er hatte verlangt, daß das Zelt aufgeschlagen würde, und alle lagen schon lang drin ausgestreckt, als Loubet von einer Unternehmung nach einem benachbarten Felde mit Karotten zurückkam. Da es unmöglich war, sie zu kochen, knabberten sie sie roh; aber das vermehrte nur ihren Hunger, und Pache wurde krank davon.
    »Nein, nein, laß ihn schlafen«, sagte Jean zu Chouteau, der Maurice schüttelte, um ihm sein Teil zu geben.
    »Ach,« sagte Lapoulle, »morgen, wenn wir in Angoulême sind, kriegen wir Brot ... Ich habe in Angoulême einen Vetter beim Kommis gehabt. Feine Garnison.«
    Sie waren baff, und Chouteau schrie:
    »Was, in Angoulême? ... seht mal den Riesenschafskopf, der glaubt, er wäre in Angoulême!«
    Es war unmöglich, aus Lapoulle eine Erklärung herauszukriegen. Er glaubte, sie marschierten nach Angoulême. Er hatte auch am Morgen, als sie die Ulanen sahen, geglaubt, es wären Soldaten Bazaines.
    Nun versank das Lager in tiefdunkle Nacht, in Todesschweigen. Trotz der Nachtkühle war es verboten, Feuer anzuzünden. Man wußte, die Preußen standen nur einige Kilometer weit, und selbst alle Geräusche wurden gedämpft, aus Furcht, ihnen einen Wink zu geben. Die Offiziere hatten die Mannschaften schon benachrichtigt, daß um vier Uhr aufgebrochen würde, um die verlorene Zeit wieder einzubringen; alles schlief schleunigst voller Gier wie vernichtet drauf los. Über den zerstreuten Lagerstätten stieg das kräftige Atemgeräusch der Massen hinauf in die Finsternis wie der Atem der Erde selbst.
    Ein plötzlicher Schuß brachte die Korporalschaft auf die Beine. Es war noch tiefe Nacht, drei Uhr mochte es sein. Alle waren auf den Beinen; der Lärm lief weiter und weiter, und man glaubte, der Feind griffe an. Es war aber nur Loubet, der nicht schlafen konnte und auf den Gedanken verfallen war, sich in dem Eichengehölz zu verstecken, wo Kaninchen drin sein mußten: was für eine Schlemmerei, wenn er bei Tagesanbruch den Kameraden ein paar Kaninchen bringen würde! Als er sich aber einen guten Anstand aussuchte, hörte er an Summen und zerbrechenden Zweigen, daß Menschen auf ihn zu kamen; da bekam er Angst und schoß, weil er es mit Preußen zu tun zu haben glaubte.
    Schon kamen Jean, Maurice und andere, als eine heisere Stimme ertönte:
    »Schießt nicht, Herrgott noch mal!«
    Am Waldrand stand ein großer

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