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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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    »Verflucht, das wird heiß... Ich hatte es aber erwartet; ich hatte Ihnen heute morgen schon gesagt, Herr General: das sind sicher die Batterien, die wir im Gehölz von Dieulet gesehen haben. Jetzt muß das fünfte Korps die ganze Abteilung auf dem Halse haben, die über Buzancy und Beauclair herankam.«
    Eine Pause entstand, während der die Schlacht in der Ferne immer lauter grollte. Eine wütende Sucht zu weinen packte Maurice, und er biß die Zähne zusammen. Warum marschierten sie nicht sofort ohne viel Worte auf den Geschützlärm zu? Noch nie hatte er sich so aufgeregt gefühlt. Jeder Schuß tönte in seiner Brust wider, brachte ihn in Wallung und ließ es ihn wie einen Zwang empfinden, sogleich dort unten dabei zu sein, Schluß zu machen. Wollten sie auch an dieser Schlacht wieder nur entlangziehen, sie mit dem Ellbogen berühren, ohne einen Schuß abzufeuern? Er handelte sich wohl um eine Wette, daß man sie seit der Kriegserklärung dauernd so auf der Flucht herumschleppte? In Vouziers hatten sie nur die Schüsse der Nachhut gehört. In Oches hatte der Feind sie nur einen Augenblick von hinten beschossen. Und sie sollten ausreißen und den Kameraden diesmal nicht im Laufschritt zu Hilfe eilen? Maurice blickte auf Jean,der ebenso wie er selbst sehr blaß mit fieberhaft leuchtenden Augen dastand. Bei diesem lauten Hilferuf des Geschützes hüpften die Herzen in aller Brust.
    Aber es entstand eine neue Pause, denn ein Stabsoffizier kam über den engen Pfad den Hügel herauf. Es war General Douay, der mit besorgter Miene auf sie zulief. Und als er persönlich die Franktireurs ausgefragt hatte, entrang sich ihm ein Schrei der Verzweiflung. Wenn er auch am Morgen schon benachrichtigt worden wäre, hätte er überhaupt noch helfen können? Der Marschall hatte seinen Willen förmlich ausgesprochen, er müsse die Maas vor Abend, einerlei um welchen Preis, überschreiten. Wie sollte er dann jetzt seine auf dem Marsch nach Raucourt auseinandergezogenen Truppen zusammenholen, um sie in der Eile auf Beaumont zu werfen? Käme er nicht sicher zu spät? Das fünfte Korps mußte schon auf dem Rückzuge in der Richtung auf Mouzon sein; und das Geschütz zeigte ganz klar an, daß es sich weiter und weiter gegen Osten zog wie ein vernichtender Hagelsturm, der kommt und vorüberzieht. General Douay hob in wütender Ohnmacht beide Arme gegen die Hügel und Täler, die Felder und Wälder am weiten Horizont; und dann gab er den Befehl zur Fortsetzung des Marsches auf Raucourt.
    Ach! dieser Marsch unten durch den Paß von Stonne zwischen den hohen Gipfeln, während von rechts hinter den Wäldern her der Geschützdonner fortdauerte! Oberst von Vineuil hielt sich an der Spitze der 106er steif auf seinem Pferde, das blasse Gesicht geradeaus gewandt; die Augenlider zitterten ihm, als ob er die Tränen zurückhalten müsse. Hauptmann Beaudouin biß stumm auf seinen Schnurrbart, und Leutnant Rochas kaute halblaut auf Grobheiten, er schimpfte auf alle und auf sich selber. Selbst in den Soldaten, die keine Neigungzum Fechten in sich fühlten, in den wenigst tapferen, stieg der Wunsch zum Schimpfen und Hauen auf vor Zorn über die ewigen Niederlagen, vor Wut, wieder einmal langsamen, schwankenden Schrittes davonzulaufen, während die verdammten Preußen da hinten die Kameraden abschlachteten.
    Unterhalb Stonnes, von wo der Weg sich in Windungen zwischen kleinen Hügeln herabzieht, verbreiterte sich die Straße; die Truppen kamen über offenes, von kleinen Gehölzen durchschnittenes Gelände. Seit Oches befanden sich die 106er nun fortwährend in der Nachhut und erwarteten angegriffen zu werden; denn der Feind folgte der Abteilung Schritt für Schritt, überwachte sie und spähte offenbar nach dem günstigsten Augenblick, um sie beim Schwanze zu packen. Kavallerie, die sich die geringsten Geländefalten zunutze machte, suchte ihre Seiten zu überflügeln. Man sah mehrere Schwadronen preußischer Garde hinter einem Gehölz auftauchen; aber sie hielten vor der Gegenbewegung eines Husarenregiments, das wie ein Sturmwind die Straße entlangfegend vorging. Dank diesem Aufschub ging der Rückzug in verhältnismäßig guter Ordnung weiter, und sie näherten sich Raucourt, als ein neues Schauspiel ihre Angst verdoppelte und die Soldaten vollends entmutigte. Sie sahen plötzlich aus einem Seitenwege ein Gewimmel von verwundeten Offizieren, zerstreuten, waffenlosen Soldaten auf sich losstürzen, dahinjagende Trainfuhrwerke, Menschen und

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