Der Zusammenbruch
Tiere, wie verrückt unter dem Sturmwind des Unheils dahinfließend. Es waren Trümmer einer Brigade der ersten Division, die den am Morgen über la Besace nach Mouzon aufgebrochenen Troß begleitete. Ein Fehler im Marschbefehl, ein schauderhafter, unglücklicher Zufall hatte diese Brigadeund einen Teil des Trosses bei Varniforêt, nahe bei Beaumont, in die volle Auflösung des fünften Korps hineinfallen lassen. Überraschend in der Seite angegriffen, erlagen sie der Überzahl und flohen, und die Panik riß sie blutend, verstört, halb närrisch weiter, bis sie durch ihre Furcht auch die Kameraden über den Haufen warf. Ihre Erzählungen verbreiteten Schrecken; es war, als habe der Geschützdonner, den man seit Mittag ununterbrochen hörte, sie herangeführt.
Beim Durchmarsch durch Raucourt herrschte daher ein ängstliches, bestürztes Gedränge. Sollte man sich rechts gegen Autrecourt wenden, um bei Villers über die Maas zu gehen, wie es beschlossen war? General Douay zauderte voller Unruhe, in der Befürchtung, die Brücke dort verstopft, vielleicht schon in den Händen der Preußen zu finden. Er zog also vor, geradeaus durch den Paß von Haraucourt zu marschieren, um vor Nacht Remilly zu erreichen. Nach Mouzon Villers und nach Villers Remilly: immer höher ging es, und die Ulanen galoppierten hinter ihnen her. Sie hatten nur sechs Kilometer zurückzulegen, aber es war schon fünf Uhr und die Mattigkeit, ach, wie vernichtend! Seit dem Morgengrauen waren sie auf den Beinen; sie hatten zwölf Stunden gebraucht, um kaum drei Meilen zu machen, zwischen endlosen Pausen hin und her trappelnd und sich durch lebhafteste Aufregungen und Befürchtungen erschöpfend. Die letzten beiden Nächte hatten die Leute kaum geschlafen und seit Vouziers bei allem Hunger nichts gegessen. Sie fielen vor Mattigkeit. In Raucourt wurde es jammervoll.
Die kleine Stadt mit ihren zahlreichen Fabriken ist reich, ihre Hauptstraße an beiden Seiten gut bebaut, und sie hat eine gefällige Kirche und Mairie. Aber in der Nacht waren der Kaiser und der Marschall Mac Mahon mit dem ganzenBallast ihres Stabes und des kaiserlichen Haushaltes durchgekommen, und der folgende Durchzug des ganzen ersten Korps, der den ganzen Vormittag in einem Fluß über die Straße dahingezogen war, hatten schließlich alle Hilfsmittel erschöpft, alle Bäckereien und Kramläden geleert und die Bürgerhäuser bis zur letzten Krume ausgefegt. Man fand kein Brot mehr, keinen Wein, keinen Zucker, nichts Trink- oder Eßbares. Man hatte Damen vor ihren Haustüren Wein glasweise und Fleischbrühe in Tassen bis zum letzten Tropfen ihrer Fässer und Kessel verteilen sehen. Aber nun war's zu Ende, und als gegen drei Uhr die ersten Regimenter des siebenten Korps durchzumarschieren begannen, entstand wahre Verzweiflung. Was nun? Ging es von neuem an, kamen immer noch mehr? Von neuem führte die Hauptstraße erschöpfte, staubbedeckte Menschen daher, die vor Hunger starben, ohne daß man ihnen einen Bissen reichen konnte. Viele blieben stehen, streckten die Arme nach den Fenstern empor und flehten, man möge ihnen ein Stück Brot herunterwerfen. Manche Frauen weinten und machten ihnen Zeichen, sie könnten ja nicht, sie hätten nichts mehr.
An der Ecke der Rue des Dir-Potiers taumelte Maurice, vom Schwindel gepackt. Und als Jean sich um ihn bemühen wollte:
»Nein, laß mich, das ist das Ende... Ich will lieber hier verrecken.«
Er hatte sich auf eine Bordschwelle fallen lassen. Da spielte der Korporal den rauhen, unzufriedenen Vorgesetzten.
»Herrgott nochmal! Hat man mir je so einen Kerl aufgehängt! ... Sollen die Preußen dich aufheben? Vorwärts, hoch!«
Als er sah, daß der junge Mann leichenblaß, mitgeschlossenen Augen, halb ohnmächtig, nicht mehr antwortete, fluchte er zwar weiter, aber in unendlich mitleidigem Tonfall:
»Herrgott nochmal! Herrgott nochmal!«
Und er lief zu einem nahestehenden Springbrunnen, füllte seinen Napf mit Wasser und begann ihm das Gesicht zu waschen. Schließlich holte er, ohne es diesmal zu verbergen, seinen letzten, wie einen Schatz bewahrten Zwieback aus dem Tornister und fing an, ihn in kleine Stücke zu brechen, die er ihm zwischen die Zähne steckte. Der Verhungerte verschlang sie und öffnete die Augen.
»Aber,« sagte er, sich mit einemmal erinnernd, »hast du ihn denn nicht vergessen?«
»Ach!« erwiderte Jean, »ich habe eine dickere Pelle, ich kann warten ... Ein ordentlicher Schluck Froschlaich, und ich bin wieder
Weitere Kostenlose Bücher