Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
als ein halbes Jahrhundert später, geklärt zu sein, wie Seefeldt seine Opfer tötete, bleibt die Frage nach dem Motiv weiterhin offen.
Prof. Dr. J. Lange erklärte damals: »Es ist ganz gleichgültig, ob für seine Morde sexuelle Triebfedern entscheidend waren oder nicht.«
Während Prof. Müller-Hess in Seefeldt einen sexuellen Triebtäter, einen infantilen Lustmörder sah, widersprach Prof. Lange dem Tiefenpsychologen Müller-Hess und bezeichnete Seefeldt einfach als einen gemütskalten Psychopathen: »Seefeldt mordete offenbar ganz kühl und besonnen, vermutlich, um Zeugen aus der Welt zu schaffen.«
Seefeldts Mordmotiv sei also die Verschleierung seiner Sexualdelikte gewesen. Er sei ein echter Serienmörder: »Auf den ersten Mord folgt offenbar eine längere Pause, vielleicht auch noch auf den nächsten. Aber dann schließen sich die Morde serienweise aneinander. Nichts ändert sich mehr als die Virtuosität der Ausführung. Entscheidend ist, daß bei diesen Menschen mit der ersten Wiederholung des Mordes Scheu vor der Vernichtung mitmenschlichen Lebens überhaupt nicht mehr besteht.« Lange fügte hinzu: »Daß Menschen, die, wie das Heer der schweren Psychopathen, schon durch die Geburt geschlagen sind, auch noch besonders schwer dafür bestraft werden«, sei bitter, aber im Interesse der Gemeinschaft notwendig.
Mit diesen bedauernden Worten rechtfertigte Lange das für die Justiz der Nazizeit selbstverständliche Todesurteil.
Erich Ebermayer, einer der späteren Berichterstatter, erwähnt das grotesk-makabre politische Nachspiel des Schweriner Seefeldt-Prozesses. Kriminalisten wie Gutachter hofften auch nach Beendigung des Prozesses, die Vollstreckung des Todesurteils könnte hinausgeschoben werden. Sie waren der Meinung, es wären noch längst nicht alle Verbrechen Seefeldts aufgeklärt. Doch die Gestapo bestand auf unverzüglicher Hinrichtung. Sie ließ sich Seefeldt wegen »kommunistischer Agententätigkeit« (!) ausliefern und unterzog ihn grausamer Folter. Sie veröffentlichte danach folgende Mitteilung: »Im Zuge der Vernehmung, die in bezug auf seine politische Tätigkeit negativ verlief, legte Seefeldt ein umfassendes Geständnis ab. Er gestand außer den gerichtlich bereits festgestellten zwölf Morden eine große Anzahl weiterer Knabenmorde und Verbrechen. Ebenso gestand er, die Tötung der Knaben mit einem von ihm selbst zubereiteten Gift vorgenommen zu haben. Er führte diese Herstellung seines Giftes vor.«
Seefeldt hatte einen Sud von Fliegenpilzen gebraut. Ebermayer bemerkt dazu: »Ein alter Hund, dem man eine stärkere Dosis vorsetzte, fraß sie und fühlte sich bestens.«
Kriminalrat Lobbes soll damals den Bericht der Gestapo als »Gestapo-Alberei« kommentiert haben.
Bleibt nun der Seefeldt-Fall letzten Endes doch ein Rätsel, weil sein Motiv nicht geklärt werden konnte? Möglicherweise hat er die Kinder im Wald sterben lassen, um sie als Zeugen auszuschalten. Warum aber hat er so viele andere Zeugen seiner Sexualdelikte nicht getötet? Hat er die Kinder im Wald sexuell mißbraucht oder sie nur entblößt und bei ihrem Anblick masturbiert wie in anderen Fällen auch?
Seefeldt will nicht in das übliche Bild eines Lustmörders passen, der würgend, schlagend, oder stechend zum Orgasmus kommt. Er geht behutsam, oft bedachtsam, geruhsam ans Werk, nach einem – so makaber das klingt – fast zärtlichen Ritus.
Es ist daher wohl verfehlt, wenn Prof. Lange Seefeldt einen »typischen Lustmörder« nannte. Fragwürdig bleibt auch Langes Behauptung, Seefeldts Verbrechen erklärten sich aus dem Erbgut seiner »hypersexuellen dirnenhaften Mutter«. Es muß daran erinnert werden, daß Seefeldt im Alter von etwa zwölf Jahren selbst zu homosexuellen Handlungen verführt worden ist – was seine spätere Sexualität sicherlich mitgeprägt hat. Nach einer kurzzeitigen heterosexuellen Beziehung kehrte er immer wieder zu homosexuellen Handlungen mit Minderjährigen zurück – eine infantile Regression, ein Rückfall in die eigene Kindheit, ein Verharren in der vorpubertären, aber sexuell schon gereizten Entwicklungsphase. Eine Unfähigkeit, erwachsen zu werden, eine immerwährende Selbstbespiegelung im kindlichen Sexualobjekt.
Seefeldt selbst hatte die von Prof. Lange vermutete Erbanlage einer »Hypersexualität« in Frage gestellt, als er sagte, schuld an seinen Taten sei »nicht das Geschlechtsteil, sondern das Gehirn. Durch die Gedanken des Gehirns kommt erst das Geschlechtsteil in
Weitere Kostenlose Bücher