Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
bequemt er sich schließlich zu einem halbherzigen Geständnis: »Mir steht die Sache bis an den Hals. Mir ist alles egal. Ich kann doch nur die Wahrheit sagen, und die glaubt man mir nicht. Wenn das alles so ist, wie Sie sagen, muß ich das Schicksal, das Gott mir auferlegt hat, auf mich nehmen. Und ich werde es mit Gottes Hilfe auch tragen und sagen, ich bin es gewesen, damit Sie und ich Frieden haben. Ich nehme es mit ins Grab.«
So überzeugt Lobbes von Seefeldts Täterschaft auch ist – zwei Rätsel kann auch er nicht lösen: warum und wie Seefeldt getötet hat.
Auch der Mordprozeß gegen Seefeldt bringt keine einleuchtende Antwort auf diese Fragen. Die Hauptverhandlung vor dem Schweriner Schwurgericht beginnt am 21. Januar 1936 und dauert zweiunddreißig Tage. Neben vier schweren Sittlichkeitsdelikten und vierzig Verführungsfällen wird Seefeldt des zwölffachen Mordes angeklagt. Seefeldt legt auch jetzt kein direktes Geständnis ab und wiederholt, die Kinder, die er in den Wald mitgenommen habe, lebten alle noch.
Der Prozeß schleppt sich dahin. Bei den einzelnen Lokalterminen zeigt Seefeldt ein erstaunliches Gedächtnis. Er findet alle Tatorte wieder, beteuert aber jedesmal, er habe die Kinder nicht getötet. »Mir wollt ihr alles in die Schuhe schieben!« ruft er einmal empört. »Ich war immer gut und freundlich zu den Jungen. Die sind um mich gesprungen wie ein Reh! Gibt es einen einzigen Zeugen, der gesehen hat, daß ich einen Jungen umgebracht habe? Und wie ich das getan haben soll?«
Es gibt keine Zeugen. Und die Zuschauer fragen sich verwirrt: Ist die Anklage ein schrecklicher Irrtum? Hat dieser Mann vielleicht gar nicht getötet? Und warum sollte er getötet haben? Um ein Sexualverbrechen zu verschleiern? Aber es gibt ja auch keinen Beweis, daß er die Kinder sexuell mißbraucht hat! Die Toten lagen wie schlafend im Wald, keine Wunden, keine Würgemale, die Kleidung völlig geordnet. Sie lagen da, als träumten sie einen schönen Traum. So sollen die Opfer eines Gewaltverbrechers aussehen?
Auch die zwölf Gutachter wissen keine Antwort. Sie ergehen sich in Mutmaßungen, wie Seefeldt seine Opfer getötet haben könnte. Ihre Hypothesen widersprechen sich, eine stellt die andere in Frage. Einige Gutachter suchen nach einer naturwissenschaftlich begründeten, einige nach einer psychologisch gesicherten Erklärung.
Obermedizinalrat Dr. Fischer hat nach langwierigen Gesprächen mit Seefeldt sein Gutachten verfaßt. Er bezeichnet Seefeldt als »moralisch minderwertigen, gefühlskalten asozialen Psychopathen. Er verbarg seine wahren Gedanken und Wünsche unter der Maske eines gutmütigen Biedermannes, der gern den Namen Gottes im Munde führte. Unter dieser Maske der Heuchelei und Berechnung fand er leichter Vertrauen bei den Jungen. Schwachsinn liegt bei ihm nicht vor. Er ist zwar nicht besonders intelligent, aber er ist ein schlauer und sehr gerissener Mensch.«
Dr. Fischer betont, Seefeldt sei kein Sklave seines Sexualtriebs gewesen. Er habe bei Gefahr jederzeit von seinem Vorhaben ablassen können.
Mehrere Gutachter äußern ihre Vermutung, auf welche Weise Seefeldt seine Opfer getötet haben könnte.
Medizinalrat Dr. Pfrembter bemängelt, daß in den meisten Fällen die Ermittlung zu früh eingestellt worden sei, weil ein Tod aus natürlicher Ursache angenommen worden war. Nach Aussage von Zeugen habe sich Seefeldt gerühmt, Kenntnisse über Gifte zu besitzen. Für einen Uhrmacher sei es nicht schwierig, sich Zyankali zu beschaffen. Es sei durchaus möglich, daß Seefeldt seine Opfer mit »gasförmiger Blausäure« vergiftet und an den Toten Oralsex vorgenommen habe. Am letzten Opfer seien ja auch Schürfspuren in der Halsgegend und geringfügige Verletzungen im Mund gefunden worden. Dr. Pfrembter hält es auch für denkbar, daß Seefeldt »ein Gemisch chlorierter Kohlenwasserstoffe« selbst hergestellt und damit die Kinder getötet habe. Beide Gifte ließen sich schwer oder gar nicht nachweisen und seien daher ein ideales Mordgift für Seefeldt gewesen.
Der Berliner Gerichtschemiker Prof. Brüning hält nichts von Dr. Pfrembters Gifthypothese. Als erfahrener Toxikologe müsse er eine Vergiftung ausschließen. Die Vernehmung Seefeldts hätte ihm klargemacht, daß dieser Mann unfähig sei, Gifte herzustellen. Seefeldts Behauptung, er kenne sich mit Giften aus, sei nur eine Prahlerei vor seinen Kunden gewesen. »Gasförmige Blausäure an ein Opfer heranzubringen, ist für den Mörder ein recht
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