Der zweite Buddha
kam gestern nachmittag und wollte zu... zu meinem Mann. Um diese Zeit war aber niemand hier oben — das heißt, mein Mann war hier, aber er hatte sich ja eingeschlossen. Ich hatte unten bei dem Portier Bescheid gesagt, er solle mich im Atelier anrufen, wenn jemand käme. Dann schellte das Telefon. Es war Mr. Lam, der sagte, er habe das Blasrohr... oder vielleicht hat er erst auch nur gefragt, ob er herauf kommen darf — ich kann mich nicht mehr genau an die Reihenfolge erinnern. Auf alle Fälle wollte er zu meinem Mann, und es handelte sich um das Blasrohr.«
»Interessant...«, sagte Sellers. Er war plötzlich sehr aufmerksam geworden. »Und weiter? Hatte er das Blasrohr bei sich?«
»Ja.«
»Was hat er damit gemacht?«
»Er hat es mir gegeben.«
Sellers kratzte sich am Hinterkopf. »Mrs. Crockett« — er sprach sehr langsam und suchte offensichtlich nach den passenden Worten —, »ich muß Sie jetzt etwas fragen... bitte springen Sie mir nicht gleich ins Gesicht... Ich will gar nichts unterstellen, ich frage bloß: Da ist so ein kleines Fenster unten in dem Apartment, in dem Ihr Atelier liegt — sieht aus wie ein Badezimmerfenster; und es ist ziemlich genau gegenüber dem offenen Fenster in dem Vorraum des Arbeitszimmers Ihres Mannes ...«
»Ganz recht. Es ist das Badezimmerfenster. Was ist damit?«
»Ehe Sie antworten, denken Sie bitte einmal scharf nach«, fuhr Sellers fort, »und sagen Sie mir die Wahrheit: Haben Sie zu irgendeinem Zeitpunkt, nachdem Sie das Blasrohr entgegengenommen hatten, dieses Fenster geöffnet?«
»Allerdings«, erwiderte sie.
»Tatsächlich?«
»Ja, natürlich. Mr. Lam war ja dabei — wir haben es zusammen auf gemacht.«
»Na so was!« Sellers sah mich scharf an: »Und warum, wenn ich fragen darf?«
»Sie hat versucht, ihren Mann zu erreichen«, versuchte ich zu erklären. »Sie hatte eine Taschenlampe, und ...«
»Schon gut, Kleiner«, unterbrach er mich, »ich mach’ das allein... Aus welchem Grande haben Sie denn das Fenster geöffnet, Mrs. Crockett?«
»Weil ich meinen Mann erreichen wollte. Ich wollte, daß er ans Fenster kommt.«
»Und wie wollten Sie das anstellen?«
»Mit einer Taschenlampe... ich wollte ihm Zeichen geben.«
»War es denn schon so dunkel? Es war doch noch Tag, oder?«
»Es war am späten Nachmittag; es fing an, zu dämmern.«
»Es dämmerte, so... Ich kann mir trotzdem nicht recht vorstellen, daß eine Taschenlampe so weit reichen sollte...«
»Es war so eine große Stablampe«, warf ich dazwischen, »eine mit fünf Zellen, wissen Sie.«
»Halten Sie sich doch endlich da ‘raus«, bellte mich Sellers an, »ich bin durchaus in der Lage, allein... Moment mal: Was haben Sie eben gesagt?«
»Eine große Stablampe«, wiederholte ich, »mit fünf Zellen.«
»Ach nee... Wozu brauchen Sie denn so eine starke Taschenlampe in Ihrem Atelier, Mrs. Crockett?«
»Die Lampe brauche ich, weil ich manchmal meinen Mann erreichen will, wenn er in seinem Arbeitszimmer ist«, erwiderte sie. »Ich richte den Strahl auf das Fenster, und wenn er es bemerkt, kommt er ans Fenster, und ich kann ihm etwas zurufen... ich konnte, meine ich.«
Diesmal nahm Sellers keine Rücksicht und bohrte weiter: »Sie hatten also diese Stablampe ausschließlich zu dem Zweck, die Aufmerksamkeit Ihres Gatten zu erregen, wenn er sich da drüben eingeschlossen hatte?«
»Ausschließlich dazu, ja.«
In diesem Augenblick trat einer von Sellers’ Leuten in das Zimmer. »Inspektor Giddings«, murmelte Sellers. Es war eine Mitteilung, keine Vorstellung. Dann wandte er sich wieder an Phyllis Crockett: »Wie wär’s, wenn Sie mir jetzt den Atelierschlüssel geben würden?« schlug er vor. »Ich möchte mich mal da unten umsehen.«
»Ich glaube, es wäre besser, wenn Mrs. Crockett mit Ihnen hinunterginge«, meinte ich.
Sellers sah mich unfreundlich an: »Ich kann mich nicht erinnern, Sie um Ihre Ansicht gebeten zu haben«, stellte er fest. »Wir untersuchen hier einen Mordfall, und ich bin dickköpfig genug, das so zu machen, wie ich es für richtig halte.«
»Wie Sie meinen«, entgegnete ich kühl. »Ich stelle mir nur vor, was Sie für ein Gesicht machen werden, wenn Sie ein gerissener Anwalt in der Gerichtsverhandlung ins Kreuzverhör nimmt und sich erkundigt, ob Sie beweisen können, daß dieses oder jenes Beweisstück tatsächlich schon im Atelier war, ehe Sie hineinkamen... Nehmen wir mal an, Sie finden was Interessantes. Wenn Sie keinen Zeugen haben, können Sie nicht
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