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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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einer leeren Flasche auf dem Boden steckte. Doch das Licht ließ die Höhle kaum gemütlicher erscheinen. Lara war umgeben von nacktem Fels. Von der Decke tropfte unablässig Wasser in eine große Pfütze. Auch die Wände waren feucht. Trotz ihrer Decke zitterte Lara vor Kälte.
    Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Zehn vor fünf. Sie hatte kaum eine Stunde geschlafen. Kein Wunder, dass mir der Schädel brummt, dachte sie matt.
    Sie stand auf und kramte einen Esbit-Kocher aus einer der vielen Plastikboxen. Aus einer anderen Box holte sie eine Konservendose, die sie mit einem Taschenmesser öffnete. Wenig später dampfte der kochende Eintopf über der kleinen Feuerstelle. Nach der warmen Mahlzeit fühlte Lara sich etwas besser.
    Sie wollte sich gerade wieder hinlegen, als sie von draußen ein Geräusch hörte. Einen Moment lang lauschte sie reglos, doch abgesehen vom stetig tropfenden Wasser war jetzt alles wieder ruhig.
    Vielleicht ein Tier. Oder der Wind.
    Sie überlegte, ob sie zur Tür gehen und einen Blick hinaus in die Nacht werfen solle, entschied sich aber dagegen. Allerdings pustete sie vorsichtshalber die Kerze aus, damit der durch die Türritzen dringende Lichtschimmer nicht die Aufmerksamkeit eines unliebsamen Besuchers auf sich zog.
    Umhüllt von Finsternis harrte sie aus. Dann erneut ein Geräusch, diesmal ganz nah. Plötzlich flog die Tür auf, und der Lichtkegel einer Taschenlampe stach Lara in die Augen. Sie hielt schützend eine Hand vors Gesicht und sprang auf, um sich auf den Eindringling zu stürzen. Doch der leuchtete sich nun selbst an. Lara erkannte, dass es Emmet Walsh war.
    Die Anspannung fiel von ihr ab wie ein bleiernes Gewicht. Gleichzeitig überwältigte sie die unerwartete Wiedersehensfreude. Sie taumelte auf unsicheren Beinen auf den Mann zu, ließ sich in seine Arme sinken und begann hemmungslos zu weinen.
    Eine ganze Weile standen die beiden einfach nur da wie Vater und Tochter, die glücklich waren, sich wieder gefunden zu haben. Endlich bekam Lara ihre Gefühle unter Kontrolle. Sie entzündete erneut die Kerze, und sie und Emmet setzten sich aufs Bett.
    »Ich dachte, du wärst unter den Trümmern begraben worden«, sagte sie mit brüchiger Stimme.
    »Ich hatte Glück ... mehr Glück als die anderen. Sie alle sind tot.« Emmet lächelte matt, doch Lara sah ihm an, dass er litt.
    Kein Wunder, dachte sie. Leighley Castle war seine Heimat gewesen. Die Gemeinschaft hat ihm noch viel mehr bedeutet als mir. Ich kannte die meisten Mitglieder nur oberflächlich. Ihm standen sie näher als irgendjemand sonst auf der Welt.
    »Jetzt gibt es nur noch dich und mich«, sagte er traurig. »Und vielleicht Anthony Nangala, falls er nicht schon vor Tagen aus dem Verkehr gezogen wurde. Wir sollten nach ihm suchen.«
    »Lass uns erst schlafen«, sagte Lara, obwohl sie sich gar nicht mehr müde fühlte. »Wenn wir ausgeruht sind, entscheiden wir, wie es weitergeht.«
    Emmet nickte.
    Während er aus einer Box eine Decke holte und es sich damit auf einem knarzenden Holzstuhl bequem machte, fiel Lara das Manuskript auf. Emmet hatte es auf den Tisch gelegt – ein dünnes Heft, auf dessen brüchigem Ledereinband das Siegel des Ordens aufgemalt war. Eine Rose und ein Schwert, die gekreuzt übereinander lagen.
    »Was ist daran so wichtig, dass du dafür dein Leben riskiert hast?«, fragte sie.
    Er reichte ihr das Manuskript. Es war überraschend schwer und fühlte sich kühl an. Der Geruch längst vergangener Zeiten stieg ihr in die Nase, leicht modrig und dennoch nicht unangenehm. Lara ließ ihre Hand über den Einband gleiten. Das Heft war uralt, ein Teil der Geschichte. Beinahe glaubte sie, eine Art Macht zu spüren, die von diesem Manuskript ausging. Eine Aura. Als wäre es in der Lage, jeden, der es berührte, auf eine höhere Bewusstseinsebene zu befördern. Ein Gefühl wie nach einem Kirchgang, wenn man glaubt, das Werk Gottes begriffen zu haben. Ein erhebendes Gefühl, zugleich aber auch ein wenig beängstigend, weil man zweifelte, einer solchen Erkenntnis wirklich gewachsen zu sein.
    »Dieses Manuskript stammt aus dem Anfang des zwölftenJahrhunderts«, sagte Emmet. »Der Begründer unseres Ordens hat es verfasst, ein französischer Kreuzfahrer namens Robert von Montferrat. Es ist die Geschichte eines Mannes, der in den Zeiten des Krieges entdeckt, dass er auf der falschen Seite kämpft. Dieses Manuskript stellt das Fundament unseres Ordens dar. Es ist unsere Seele.«
    Wieder fiel Laras Blick

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