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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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Täuschung zu ahnen, wiederholte er, was die Prieuré de Sion ihm eingeflüstert hatte – dass die Christen im Osten um Beistand ersucht hatten, dass die muslimischen Sarazenen immer tiefer ins Herz des einzig wahren Glaubens vordrangen, dass sie Christen erschlugen und misshandelten und all das mit Füßen traten, wofür Jesus am Kreuz gelitten hatte.
    Vieles davon entsprach der Wahrheit. Die Prieuré der Lüge zu bezichtigen, wäre daher falsch. Doch sie hatte dem Papst die Lage als schlimmer dargestellt, als sie tatsächlich war, und ihn dadurch beeinflusst, einen Krieg heraufzubeschwören, der lediglich ihren eigenen Zwecken diente.
    Mit dem gutgläubigen Urban führte die Prieuré ein mächtiges Schwert, denn das Wort des Heiligen Vaters wagte niemand in der Menge zu bezweifeln. Einem jeden war das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, jedermann konnte sich vorstellen, welch grausames Schicksal die christlichen Pilger im Heiligen Land zu erdulden hatten. Manche weinten und bedeckten ihr tränennasses Antlitz mit den Händen.
    Je nachdrücklicher Papst Urban sprach, desto mehr wuchs der Zorn seiner Zuhörerschaft. Und als er am Ende seiner Rede der Christenheit des Westens zurief, sich aufzumachen, um den Osten zu erretten, hatte er die Menge auf seiner Seite. Reich und arm, rief er, solle sich gleichermaßen auf den Weg machen. Anstatt sich gegenseitig zu erschlagen, sollten sie gen Jerusalem ziehen und einen gerechten Krieg führen, um Gottes Werk zu verrichten. Wer in der Schlacht falle, dem werde Absolution und Vergebung der Sünden zuteil. Schon erhoben sich die ersten Stimmen aus der Menge: »Deus le volt!«, schrien sie. »Gott will es!«
    Angesteckt von der Wut über die Heiden und dem festen Glauben, der gerechten Sache zu dienen, begaben sich alle zurück in ihre Häuser, um Vorkehrungen für den langen Marsch gen Osten zu treffen. Am 15. August, zu Maria Himmelfahrt des folgenden Jahres, hatte Papst Urban gefordert, solle jedermann sich bereithalten, Heim und Herd zu verlassen und nach Konstantinopel aufzubrechen, wo sämtliche Heere sich versammeln sollten. Als Sinnbild seiner Weihe solle sich jeder Teilnehmer der heiligen Expedition ein rotes Kreuz auf die Schulter seines Überrocks aufnähen. So geschah es.
    Die Bauern waren die Ersten, die zum Kreuzzug aufbrachen, angestachelt von keinem anderen als Peter von Amiens. Unermüdlich zog er als Wanderprediger durchs Land, von der Grafschaft Berry über die Champagne nach Lothringen und von dort weiter nach Aachen und Köln, wo er die Osterzeit verbrachte. Mit glühendem Eifer sorgte er dafür, dass die Botschaft des Papstes – die ja letztlich seine eigene Botschaft war – nicht in Vergessenheit geriet. Von Stadt zu Stadt wuchs seine Anhängerschaft. Als er Köln nach der Osterzeit wieder verließ, hatte er weit über fünfzehntausend Leute im Gefolge.
    Doch viel zu schnell geriet die Menge außer Kontrolle, nicht einmal Peter konnte das verhindern. In allen großen Städten, darunter Worms, Köln, Mainz und Prag kam es zu Ausschreitungen. Am meisten hatten die Juden darunter zu leiden. Die Meute plünderte und brandschatzte Geschäfte und Häuser und tötete allzu leichtfertig diejenigen, die sich zur Wehr setzten. Bald machte das Wort von den »Henkern Christi« die Runde.
    Als die wildernde Bauernmeute vor den Mauern Konstantinopels erschien, verlangte sie vom oströmischen Kaiser Aleksios Schiffe, um den Bosporus zu überqueren. Da der Kaiser keinen Wert auf eine solche Schar ungebetener Gäste legte, ging er auf die Forderung ein. Doch der Siegeszug der Bauern fand auf der anderen Seite des Meeres ein jähes Ende, denn die muslimischen Seldschuken waren kampferprobt und zu erbittertem Widerstand entschlossen. Binnen kürzester Zeit verloren viele Tausend Christen ihr Leben auf heidnischem Boden. Kaum einer von ihnen kehrte in seine Heimat zurück.
    Das tragische Ende des Bauernkreuzzugs nährte den Zorn der aus Europa nachrückenden Soldaten und Ritter. Außerdem bestärkte es sie in ihrem Vorhaben, Jerusalem zu befreien, denn wenn selbst einfache Bauern ihr Leben für die gerechte Sache hingegeben hatten, wollten, nein mussten die Edleren es ihnen nachtun.
    Genau diese Absicht hatte Peter von Amiens verfolgt, als er sein höriges Bauernvolk über den Bosporus geschickt hatte. Er selbst war indes in Konstantinopel geblieben, wohl wissend, dass Holzknüppel und Mistgabeln den Angriffen von Bogen und Schwert nicht gewachsen sein konnten. Er hatte

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