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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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Emmet riss ihn zur Seite und betätigte gleichzeitig einen Hebel. Ein Stück Mauer schwenkte wie eine Tür auf und gab ein großes schwarzes Loch frei.
    »Komm schon!«, zischte Emmet. Ergriff nach einer Wandfackel und eilte voraus.
    Lara folgte ihm in einen höhlenartigen Gang. Nach ein paar Metern stießen sie auf Stufen, die scheinbar endlos in die Tiefe führten. Sie mussten sich jetzt weit unter der Burg befinden.
    Sie hatten das Ende der Treppe noch nicht erreicht, als Emmet Walsh so plötzlich innehielt, dass Lara ihn beinahe umgerannt hätte.
    »Das Manuskript!«, sagte er.
    Lara verstand nicht. »Lauf weiter!«, rief sie keuchend.
    »Nein. Ich muss zurück ... das Manuskript holen ...«
    »Das kann nicht so wichtig sein!«
    »Dieses Manuskript ist wichtig!« Er drückte ihr die Fackel in die Hand. »Folge immer diesem Gang. Nach etwa einem Kilometer erreichst du den Ausgang. Ich komme nach, so schnell ich kann.«
    »Emmet ...!«
    Doch er drängte sich ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei und stürmte die Treppen hinauf.
    Lara sah ihm hinterher. Rasch verschmolz er mit der Dunkelheit des Gangs. Nur vor dem hellen Viereck des Schachteingangs zeichnete seine Silhouette sich noch ab.
    Lara haderte mit sich selbst. Ihr Instinkt trieb sie zur Flucht. Sie wollte den Gang entlangrennen und das Chaos, dem sie nur mit knapper Not entkommen war, weit hinter sich lassen. Andererseits plagte sie das Gewissen. Vielleicht war sie zu unvorsichtig gewesen. Vielleicht war das brennende Inferno in der Burg das Werk ihrer Verfolger.
    Obwohl sie das Gefühl hatte, einen Fehler zu begehen, entschied sie sich dafür, Emmet zu folgen. Sie rief ihm hinterher, doch so weit sie es in der Finsternis erkennen konnte, blieb er nicht stehen.
    Lara beschleunigte ihre Schritte. Die Fackel blendete sie, sodass sie trotz der Helligkeit kaum die Treppen unter ihren Füßen erkennen konnte. Deshalb verringerte sie ihr Tempo wieder.
    Sie sah, dass Emmet jetzt das obere Ende des Gangs erreicht hatte. Noch einmal rief sie seinen Namen, aber schon war er aus ihrem Sichtfeld verschwunden.
    Konzentrier dich!, schalt Lara sich. Du darfst ihn nicht aus den Augen verlieren! Du kennst dich in der Burg nicht gut genug aus. Wenn du dich in diesem Flammenmeer verirrst, ist es aus!
    Ein weiterer Donnerhall riss sie aus ihren Gedanken. Das Schachtende glühte auf. Dann – nur eine Sekunde später – war alles schwarz.
    Lara blieb wie angewurzelt auf der Treppe stehen. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff: Der Gang war verschüttet worden.
    Sie rannte nach oben, so schnell sie konnte. Tatsächlich fand sie sich vor einem Berg aus Schutt und Asche wieder. Sie zog und zerrte an den großen Steinen, doch die schweren Brocken ließen sich nicht bewegen. Keine Chance.
    Resigniert gab sie auf. Jetzt war sie ganz auf sich allein gestellt.
    Langsam zunächst, dann immer schneller, stieg Lara wieder die Treppen hinunter. Sie wusste selbst nicht, warum sie rannte. Sie folgte einfach ihrem Instinkt.
    Weg von hier! Weg von diesem grauenvollen Ort!
    Am Fußende der Treppe wurde der Gang schmaler und niedriger, sodass Lara sich ducken musste. Dennoch rannte sie weiter. Der Boden unter ihren Füßen war jetzt nur noch grob behauen. Durch die Sohlen ihrer Schuhe spürte sie die Unebenheiten. Die rauen Wände waren ebenfalls voller Wölbungen und Vertiefungen. Im Wechselspiel aus Fackellicht und Schatten schienen sie sich auf unheimliche Weise zu bewegen, als besäßen sie ein Eigenleben.
    Wie ein gefräßiger Schlund.
    Lara rannte weiter.
    Bald begann sie zu keuchen. Zwar gab es hier keine Treppen mehr, aber sie hatte das Gefühl, ständig bergauf zu laufen. Schweiß rann ihr kalt über den Rücken, doch die Angst trieb sie weiter voran.
    Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie endlich den Ausgang des Tunnels erreichte. Tatsächlich waren höchstens ein paar Minuten verstrichen.
    Als Erstes bemerkte sie die kühle Nachtluft, die ihr entgegenwehte und an der Fackel zerrte. Das brodelnde Geräusch der Flamme war wie eine Warnung.
    Ich muss das Feuer löschen, dachte Lara. Wer immer es auf den Orden abgesehen hat, wird sonst vielleicht auf mich aufmerksam.
    Kurz entschlossen warf sie die Fackel auf den Steinboden und trat sie aus. Dann musste sie nur noch ein paar Stufen erklimmen und durch eine von innen verriegelte Holzklappe steigen, bevor die frostige Nacht der North West Highlands sie in Empfang nahm.
    Sie schnappte nach Atem wie jemand, der um ein Haar ertrunken

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