Der zweite Gral
Peter wusste diese Gabe zu seinem Vorteil zu nutzen.
Als er aus dem Heiligen Land zurückkehrte, fand er sich am Hofe des Gottfried von Bouillon ein, Herzog von Niederlothringen, dessen Erzieher er einst gewesen war. Ihm berichtete er von der Schale Christi. Und seine Worte fielen bei Gottfried auf fruchtbaren Boden, denn dieser war sich seiner Herkunft sehr bewusst. Er gehörte dem Geschlecht der Merowinger an, deren Dynastie im Jahr des Herrn 678 mit der Ermordung Dagoberts II. zugrunde ging. Die Merowinger wiederum führen sich zurück auf einen der zwölf Stämme des alten Israels, auf den Stamm Benjamin, dem bei der Aufteilung des Gelobten Landes nach Josua, Kapitel 18, Vers 28 auch die Stadt Jebus zufiel – das heutige Jerusalem.
Mit kunstfertiger Zunge war es Peter von Amiens ein Leichtes, seinen ehemaligen Zögling Gottfried von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich zurückzuholen, was ihm, dem Nachfahren Benjamins, ohnehin zustand. Und sollten Gottfried noch irgendwelche Zweifel geblieben sein, so wischte spätestens die Erwähnung des heiligen Grals sie hinweg. Denn Gottfrieds Großvater war niemand Geringerer als Lohengrin, der Sohn des höchsten Gralsritters Parzival.
Als Benjaminiter und Merowinger erhob Gottfried also Anspruch auf den Thron von Jerusalem, als Spross Parzivals lag es ihm im Blut, den Gral zu suchen. Doch Peter und Gottfried wussten, dass sie im Verborgenen handeln und geschickt die Fäden spannen mussten, um ihr Ziel zu erreichen und nicht die Missgunst von Neidern auf sich zu ziehen. Sie mussten Verbündete gewinnen und eine Armee ausheben, mit der sie gen Jerusalem marschieren konnten. Anders konnten sie die von Sarazenen besetzte Stadt niemals einnehmen.
So gründeten sie in der Kapelle Sions einen geheimen Bund, der es sich zur Aufgabe machte, das heilige Land zurückzuerobern. Die Aussicht, die Schale mit dem Blut Jesu zu sehen und ihre Zauberwirkung am eigenen Leib zu erfahren, scharte rasch eine Truppe von Willigen um Peter und Gottfried, ein kleiner, aber mächtiger Kreis Eingeweihter, die hinter den Kulissen agierten und so die Geschicke der Welt veränderten. Die Prieuré de Sion.
Im Spätsommer des Janres 1095 traf Papst Urban II. in Frankreich ein, um auf dem Weg zum Konzil von Clermont einige seiner Bistümer zu besichtigen. Auch Bischof Adhemar de Monteil, dem Bischof von Le Puy, stattete er einen Besuch ab, ohne zu ahnen, dass Adhemar dem Bund der Eingeweihten angehörte. Adhemar, der neun Jahre zuvor eine Pilgerfahrt nach Jerusalem unternommen hatte, berichtete dem Papst von den unsäglichen Zuständen im Heiligen Land. Von der Entweihung der heiligen Stätten durch die Sarazenen und von ihren grausamen Übergriffen auf die Christen des Ostens. Fromme Pilger wurden von ihnen erschlagen, Frauen und Kinder in das schreckliche Elend der Sklaverei verkauft. Adhemar, dessen Wortgewandtheit der des Peter von Amiens in nichts nachstand, schilderte die Ereignisse so eindringlich, dass dem Papst Tränen in die Augen traten.
Auf der Weiterreise nach Clermont gab es noch zwei weitere Bischöfe, die Papst Urban im Sinne der Prieuré beeinflussten – der Bischof von Avignon und jener von Cluny. Letzterer führte Urban gar Männer vor, die auf dem Weg nach Jerusalem von muslimischen Horden heimgesucht und verkrüppelt worden waren. So war es kein Wunder, dass der Heilige Vater, als erin Clermont eintraf, von der Notwendigkeit überzeugt war, das Heilige Land befreien zu müssen.
Das Konzil fand im November statt. Mehrere Tage lang versammelten sich einige Hundert Geistliche in der Kathedrale von Clermont, um über verschiedene Fragen zu beraten, unsere heilige Mutter Kirche betreffend. Man disputierte über die Erlässe gegen die Laieninvestitur, die Eheschließung von Geistlichen und bannte König Philipp wegen Ehebruchs. Belanglosigkeiten gemessen an dem, was Papst Urban zur Sprache brachte!
Bereits zu Beginn des Konzils ließ er verlauten, am neunten Tag eine hochwichtige Ankündigung zu machen. Deshalb gab man weithin bekannt, dass am Dienstag, dem 27. November, eine öffentliche Sitzung abgehalten werde. Der Andrang der geistlichen und weltlichen Menge war so gewaltig, dass die Bischofskathedrale nicht mehr ausreichte, um alle aufzunehmen, die gekommen waren. Also stellte man den päpstlichen Thronsessel auf einem Podium unter freiem Himmel vor dem Osttor der Stadt auf. Dort erhob sich der Heilige Vater inmitten der versammelten Menge, um zu ihr zu sprechen.
Ohne die
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