Der zweite Gral
der Zwischenzeit nach Anthony. Kennst du seine Adresse in New York?«
Lara schüttelte den Kopf.
»Ich auch nicht«, seufzte Emmet. Jedes Mitglied des Ordens hatte mindestens ein halbes Dutzend Wohnsitze rund um den Globus, die noch dazu ständig wechselten. Die aktuellen Anschriften waren auf seinem Computer gespeichert, doch der lag unter tausend Tonnen Stein begraben.
Ihm kam eine Idee. »Sagtest du nicht, dass Anthony dir ein Fax geschickt hat?«
»Ja. Aus einem Hotel im Sudan.«
»Kannst du dich erinnern, wie das Hotel heißt und in welcher Stadt es sich befindet?«
Lara überlegte einen Augenblick. »Bei der Stadt bin ich mir sicher«, sagte sie. »Port Sudan. Aber der Name des Hotels ...« Sie machte eine Pause, grübelte. Plötzlich hellte ihre Miene sich auf. »Sea View! Ja, jetzt weiß ich es wieder. Hotel Sea View in Port Sudan.«
Emmet Walsh lächelte müde, aber entschlossen. »Kein schlechter Anfang«, sagte er. Dann kramte er aus einer Truhe zwei luftdicht verschweißte Plastikbeutel. Einen davon reichteer Lara. Sie sah, dass sich in dem Beutel eine Kreditkarte und ein Satz gefälschter Papiere befanden.
»Das dürfte uns die Suche erleichtern«, fuhr Emmet fort. »Mit der Kreditkarte hast du Zugriff auf das Hauptkonto des Ordens bei der Crédit Suisse. Dort parkt ein Vermögen, das sich über viele Jahrhunderte aufgebaut hat. Also denk daran – Geld spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass du herausbekommst, wer uns gestern Nacht angegriffen hat.«
16.
200 Kilometer südlich von Port Sudan
D ie Harmattan, eine Benetti-Jacht mit stolzen fünfzig Metern Länge, durchschnitt in gemächlichem Tempo die azurblaue Oberfläche des Roten Meers. Sie war ausgestattet mit zwei 3500-PS-Spezialmotoren und machte in der Spitze gut 35 Knoten. Derzeit jedoch fuhr sie nur mit halber Kraft.
Auf dem schnittigen Rumpf thronte ein weiß angestrichener, zweigeschossiger Aufbau, der jeden erdenklichen Komfort bot. Über dem Achterdeck, ein gutes Stück hinter dem Helikopter-Landeplatz, drehte der Radar seine endlosen Kreise. Außerdem ragten dort etliche Antennen und ein Mast mit der Flagge Saudi-Arabiens in den wolkenlosen Himmel. Darunter flackerte ein Wimpel mit rotem Oktopus-Emblem. Im Licht der Nachmittagssonne funkelte und glitzerte die Jacht wie ein Kunstwerk aus Eis.
Mats Leclerc stand an der Bugreling und genoss die sanfte Kühlung durch den Fahrtwind. Dank des ständig guten Wetters hatte seine Haut im Lauf der Zeit einen bronzefarbenen Ton angenommen. Seine strahlend blauen Augen und das kurze blonde Haar kamen dadurch noch stärker zur Geltung.
Der gebürtige Luxemburger trug einen dünnen, beigefarbenen Stoffanzug, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen hinaufgeschoben hatte. So machte er es meistens. Es wirkte locker und dennoch ziemlich elegant. Außerdem war es bequemer so. Nur bei wichtigen geschäftlichen Besprechungen ließ er die Ärmel herunter.
Alles an ihm wirkte sportlich, dynamisch und markant, auch seine Gesichtszüge. Er wusste, dass er andere oft durch sein Aussehen beeindruckte, sogar einschüchterte – was er häufig zu seinem Vorteil nutzte.
Mats Leclerc war stolz auf das, was er erreicht hatte, auch wenn sein Lebenslauf nicht unbedingt als geradlinig bezeichnet werden konnte. In Cambridge hatte er ein Wirtschaftsstudium begonnen, aber vorzeitig abgebrochen, weil ihn das Abenteuer lockte. Er hatte sich für fünf Jahre bei der Fremdenlegion verpflichtet. Nach Ablauf seiner Dienstzeit war er nach Luxemburg zurückgekehrt. Dort hatte er Doktor Goldmann kennen gelernt, und der wiederum hatte ihn mit Scheich Assad bekannt gemacht. Seitdem stand Leclerc – ebenso wie Goldmann – in Assads Dienst. Zuerst war er nur für die Ausbildung der persönlichen Leibwache Assads verantwortlich gewesen. Mittlerweile hatte er sich zu dessen persönlichem Sicherheitsberater hochgearbeitet. Heute, mit 43 Jahren, verdiente Mats Leclerc mehr, als er sich jemals erträumt hatte.
Die Harmattan ließ die Inselgruppe des Suakin Archipelagos hinter sich und steuerte auf das sudanesische Festland zu. Rasch nahm die karge braune Küstenlandschaft deutlichere Gestalt an. Vor Mats Leclercs Augen tat sich eine weite Bucht auf, die gleichermaßen von schroffem Fels und feinem, staubigem Sand geprägt war.
Als die Jacht sich dem kleinen Fischerdorf Aqiq näherte, der einzigen Ortschaft weit und breit, drosselte sie die Geschwindigkeit. Jetzt tuckerte sie nur noch im Schritttempo auf den idyllischen, aber
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