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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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gewusst, dass die Bauern niemals Jerusalem erreichen würden und hatte sie den Zielen der Prieuré geopfert. Fünfzehntausend tote Bauern als Ansporn für achtzigtausend nachrückende Ritter und Soldaten. Als Peter im Kreis der Eingeweihten davon berichtete und alle anderen ihm anerkennend auf die Schulter klopften, fragte ich mich zum ersten Mal, ob ich mich durch den Beitritt in die Prieuré nicht auf die falsche Seite gestellt hatte. Doch ich verwarf den Gedanken wieder, weil ich mich davon überzeugen ließ, dass die Suche nach dem Gral, dem wahren Heil, große Opfer rechtfertige.
    Im Sommer des Jahres 1097 erreichte das Kreuzfahrerheer Nikaia, wo die Seldschuken ein Jahr zuvor unsere Bauern niedergemetzelt hatten. Nach kurzer Belagerung zwangen wir die Stadt zur Übergabe. Wenige Tage später, am 29. Juni, brachten wir den Heiden eine empfindliche Niederlage am Pass von Dorylaeum bei. Von dort marschierten wir ohne nennenswerte Zwischenfälle gen Süden auf das Taurusgebirge zu.
    Das Vorankommen wurde immer schwieriger. Sengende Hitze verbrannte das Land, und wir hatten schwer unter der Last unserer eisernen Rüstungen zu tragen. Durst und Hunger waren unsere ständigen Begleiter. Mangels Wasser kauten wir Kameldornzweige, um unseren wunden Gaumen Linderung zu spenden. Feiner Sandstaub, aufgewirbelt von den Hufen der Pferde oder von heißen Windböen, verklebte unsere Augen. Wenn wir nach endlosen Tagesmärschen abends unsere Zelte aufschlugen, waren wir oft so erschöpft, als hätten wir die entscheidende Schlacht bereits geschlagen.
    Je weiter wir vorrückten, desto mehr verwickelten die obersten Führer unseres Heers sich in Zwistigkeiten und Machtkämpfe um eroberte Städte wie Edessa und Antiochia. Jeder wollte seinen Anteil an der Kriegsbeute und sich zum Grafen eines neu errichteten Kreuzfahrerstaats ernennen. Nur Gottfried von Bouillon und die Prieuré de Sion hielten sich aus den Rangeleien heraus. Sie wollten ihre Kräfie bis zur Ankunft vor der Heiligen Stadt schonen.
    Zwei Jahre, nachdem wir den Bosporus überquert hatten, erreichten wir endlich unser Ziel. Am 7. Juni im Jahre 1099 erklommen wir einen Hügel und sahen die Heilige Stadt vor uns liegen. Viele von uns sanken bei diesem Anblick auf die Knie und dankten Gott, dass er sie durch so viele Gefahren und Entbehrungen sicher an diesen Ort geleitet habe. Den Hügel, auf dem wir uns befanden, nannten wir fortan Montjoie, den Berg der Freude.
    Vom Montjoie aus sahen wir aber auch, dass Jerusalem nur schwer einzunehmen sein würde. Die Lage der Stadt ist wie geschaffen, sich vor Angriffen zu schützen. Sie liegt auf einem Hochplateau, das nur im Norden einen Zugang bietet. Von den anderen Seiten her wird das Plateau durch tiefe Talschluchten begrenzt. Überdies verfügt Jerusalem über starke, aus römischer Zeit stammende Befestigungsmauern. Ein Bollwerk gegen jeden Feind.
    Unsere Lage wurde noch dadurch verschlimmert, dass die Wasserstellen vor der Stadt verstopft oder vergiftet und unbrauchbar gemacht worden waren. Außerdem hatte man sämtliches Vieh fortgeschafft. Wieder einmal sahen wir uns quälendem Hunger und Durst ausgesetzt.
    Fünf Tage nach unserer Ankunft, am 12. Juni, scheiterte unser erster Ansturm auf die Stadt. Nach dieser Niederlage begann man auf Befehl Gottfrieds, zwei Belagerungstürme zu erbauen. Dennoch schwanden Kraft und Kampfesmut der Männer unter der brütenden Sonne dahin, zumal im Feldlager bald bekannt wurde, dass ein großes Heer aus Ägypten unterwegs sei, um Jerusalem zur Seite zu stehen.
    Eines Nachts trafen sich die Mitglieder der Prieuré zu einer geheimen Besprechung in meinem Zelt, wo wir über das weitere Vorgehen berieten. Am nächsten Tagging Peter von Amiens gemeinsam mit weiteren Geistlichen unseres Bundes durch die Reihen der Ritter und Soldaten und verkündete mit flammenden Worten, er habe eine Erscheinung gehabt. Die Kreuzfahrer sollten eine Fastenzeit einlegen und barfuß in einer Prozession rund um die Ringmauern Jerusalems ziehen, dann würden sie binnen neun Tagen die Stadt erobern.
    Drei Tage lang wurde standhaft gefastet und an den Belagerungstürmen weitergearbeitet. Am Freitag dem 8 Juli, zog eine feierliche Prozession rundum die Stadt, angeführt von Bischöfen und Priestern, die Holzkreuze und heilige Reliquien vor sich hertrugen. Ihnen folgten die Fürsten, Ritter und Soldaten, danach kamen das Fußvolk und die Pilger. Unter dem Spott der Sarazenen, die sich auf den Stadtmauern versammelt

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