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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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Stadt – und tötete ihn, nachdem er ihr nicht mehr dienlich sein wollte. Mag der Gral auch gut und göttlich sein, diejenigen, die nach ihm streben, sind es nicht. Im Gegenteil, die Suche lässt sie zu Teufeln werden, die vordergründig Gerechtigkeit predigen, in Wahrheit jedoch foltern, morden und meucheln, um an ihr Ziel zu gelangen.
    Nach Gottfrieds Tod am Mittwoch, dem 18. Juli im Jahre 1100, ging die Suche nach dem Gral noch lange Zeit weiter. Doch ohne mich. Zu tief sind die Wunden in meiner Seele, zu brüchig geworden ist das Band, das mich einst mit Sion verband. Mit jedem Tag sehe ich klarer, welche Ungerechtigkeiten die Prieuré im Namen der Gerechtigkeit beging.
    Ich wandte mich also ab von der dunklen Seite des Grals, hin zum Licht, und schwor, niemals mehr blind den Worten machtgieriger Fanatiker zu gehorchen, so verlockend ihre Versprechen auch sein mögen. Stattdessen gelobte ich, mein Leben fürderhin der wahren Gerechtigkeit zu widmen. So schlich ich mich eines Nachts davon, weg von Jerusalem, weg von Tod und Verderben, um nicht ebenfalls vergiftet oder auf andere Weise von den Eingeweihten ermordet zu werden.
    In den letzten Jahren haben sich mehrere Gleichgesinnte zu mir gesellt. Wir sind wie die Apostel Jesu nun zwölf an der Zahl, aber nicht nur Christen, sondern auch Muslime und Juden. Sogar ein Numide ist unter uns, mit rabenschwarzer Haut, doch edlem Geist. Was uns verbindet, ist die Enttäuschung. Obwohl wir in diesem Krieg auf unterschiedlichen Seiten kämpften, glaubten wir alle – jeder für sich –, auf der Seite der Gerechtigkeit zu stehen. Wir töteten in gutem Glauben, stellten am Ende jedoch fest, dass wir nur Handlanger machtgieriger Ränkeschmiede waren. Wir alle fühlten uns betrogen, und wir alle waren zu der Erkenntnis gelangt, dass es nur einen Weg zur wahren Gerechtigkeit gebe, nämlich den der bedachtsamen Weitsicht, die frei ist von Glaube und Starrsinn.
    Man mag uns Anmaßung vorwerfen, dass wir uns für gerecht erachten. Dass wir den Anspruch erheben, besser als Könige und Bischöfe ermessen zu können, was gerecht sei und was nicht. Doch selbst falls wir fehlen sollten – Gott, Allah und alle Götter dieser Welt mögen unsere Zeugen sein, dass wir stets in bester Absicht handeln wollen. Im kleinen Kreis wollen wir Großes vollbringen und darum kämpfen, der Welt mehr Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Diesen Eid leisten wir auf unser eigen Wappen, das Schwert und die Rose.

15.
    E mmet Walsh streckte sich, um die Müdigkeit zu vertreiben und die steifen Gelenke geschmeidig zu machen. Die Nacht war kurz gewesen. Zuerst die Zerstörung von Leighley Castle, dann der Marsch durch die Berge bis hierher, ins Versteck, und schließlich die Geschichte von Robert von Montferrat. Viel geschlafen hatte er nicht. Jetzt fühlte er sich ausgelaugt und so erschöpft, dass er am liebsten für immer in dieser Höhle geblieben wäre.
    Doch es gab viel zu tun.
    Die letzten zwei Stunden hatte er in Decken gehüllt auf seinem unbequemen Stuhl verbracht, halb dösend, halb in Gedanken versunken. Dabei war er zu der Erkenntnis gelangt, dass zwei Dinge erledigt werden mussten. Erstens: Anthony Nangala aufspüren und ihn retten, sofern er noch am Leben war. Zweitens musste er herausfinden, wer den Angriff auf die Burg zu verantworten hatte. Dafür kamen Lara Mosehnis Verfolger ebenso infrage wie Anthony Nangalas Kidnapper. Vielleicht sogar jemand ganz anderes, doch sie hatten nun einmal nicht mehr als diese beiden Spuren.
    Er hörte, wie Lara sich in ihrem behelfsmäßigen Bett auf die Seite drehte, und warf ihr einen Blick zu.
    »Guten Morgen«, sagte er.
    »Ich weiß nicht, was an diesem Morgen gut sein soll«, murmelte sie.
    Ich auch nicht, dachte er. Die jüngsten Ereignisse belastetenihn noch immer – mehr als in der Nacht. Erst jetzt, mit ein wenig Abstand, stürmte der ganze schreckliche Schmerz über den erlittenen Verlust auf ihn ein. Die zerstörte Burg, die toten Freunde. Von einem Tag zum anderen hatte er seinen Lebensinhalt verloren.
    »Bist du immer noch böse auf mich?«, fragte Lara.
    »Nein. Vielleicht musste es irgendwann so kommen. Seit neunhundert Jahren schon machen wir uns Feinde. Es konnte nicht ewig gut gehen.«
    Lara wirkte erleichtert.
    »Hör zu, ich habe einen Plan«, sagte Emmet und schilderte ihr, was er sich im Halbschlaf überlegt hatte. »Wir sollten uns aufteilen. Du versuchst, herauszufinden, wer dieser Asiat ist, der dich verfolgt hat. Ich suche in

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