Der zweite Gral
Wasserspielen und einer Fülle an exotischen Bäumen, Sträuchern und Blumen.
»Assad hat Geschmack, das muss der Neid ihm lassen«, sagte Emmet.
»Ja, aber der Pomp muss ihn ein Vermögen gekostet haben. Anfang der Siebzigerjahre ließ er die komplette Anlage von einem gewissen Omar Larbi entwerfen und errichten, eine Art Star-Architekt im Nahen Osten. Später hat Larbi für ihn mehrere Umbauten vorgenommen, beispielsweise ein Labor, das sich unter dem Garten befinden soll. Besser gesagt ein Aquarium. Da soll Assad seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen, der Erforschung von Meerestieren, vor allem von Kraken.«
»Auf seiner Jacht wehte eine Oktopus-Flagge«, sagte Emmet. »Offenbar steht er auf diese Tiere.«
Er betrachtete das nächste Bild: das Porträt eines etwa sechzigjährigen Mannes, dessen schlohweißes Haar straff zurückgekämmt war. Obwohl seine Mundwinkel leicht nach oben zeigten, schien er nicht zu lächeln, denn seine Augen wirkten kalt. Wie tot.
»Wer ist das?«, fragte Emmet. »Doch nicht etwa Assad?«
»Nein. Von Assad wurden in den letzten zehn Jahren gar keine Fotos mehr gemacht«, entgegnete Lara. »Auch keine Filmaufnahmen. Der Typ auf dem Bild heißt Goldmann. Doktor Amadeus Goldmann. Ein Arzt aus Luxemburg, der sein Land verlassen hat, nachdem er wegen irgendeines Skandals indie Schlagzeilen geraten war. Er ist so etwas wie Assads wissenschaftlicher Leiter.«
Emmet blickte weiterhin das Bild an und schüttelte den Kopf. »Ein luxemburgischer Arzt, der für einen arabischen Ölscheich Versuche mit Kraken durchführt? Wer soll daraus schlau werden?«, stöhnte er.
35.
N atürlich wussten Emmet und Lara nicht, ob Anthony Nangala noch am Leben war. Dasselbe galt für die Dorfbewohner aus Wad Hashabi. Emmet hatte gesehen, wie sie an Bord von Scheich Assads Jacht unter Deck getragen worden waren – schlaff, scheinbar leblos. Aber da auch die Möglichkeit bestand, dass sie nur betäubt worden waren, wollten Emmet und Lara keine unnötige Zeit verlieren. Je schneller sie handelten, desto größer die Chance, die Entführten zu retten – da waren sie sicher.
Also beschlossen sie, arbeitsteilig vorzugehen. Emmet wollte einen alten Bekannten aufsuchen, einen Waffenschieber namens Gamoudi, der möglicherweise herausfinden konnte, wohin man die Entführten gebracht hatte. Bei ihm wollte Emmet sich auch gleich ein Angriffsarsenal für eine etwaige Befreiungsaktion reservieren. Damit die Informationen und Waffen später rasch bezahlt werden konnten, wollte Emmet anschließend einer hiesigen Bank einen Besuch abstatten.
Lara sollte unterdessen die örtliche Bibliothek nach weiteren Informationen über Scheich Assad durchforsten. Sie hatte zwar bis zu ihrem zehnten Lebensjahr in Persien gelebt, doch ihr Vater war Araber gewesen, daher beherrschte sie auch diese Sprache nahezu perfekt.
Schon auf dem Spaziergang ins Stadtzentrum beschlich sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Mehrmals blieb sie an Schaufenstern und Auslagen stehen, um sich unauffällig umzusehen, doch sie konnte keinen Verfolger ausmachen.
In der Bücherei durchstöberte sie die archivierten Zeitungen. Sie ließ sich auch die Mikrofiche-Aufzeichnungen sämtlicher Artikel geben, in denen Scheich Faruq al-Assad erwähnt wurde. Aber sie bekam nicht sehr viel mehr heraus, als sie ohnehin schon wusste.
Allerdings fiel ihr ein Mann auf, der am anderen Ende des Lesesaals mit dem Gesicht zu ihr saß. Er war etwa Mitte zwanzig und wirkte auf Lara wie ein typischer arabischer Student. Auf seinem Tisch stapelten sich mindestens ein Dutzend Bücher. Der Wälzer in seiner Hand war so dick, als enthielte er das komplette Wissen der Welt.
Lara beobachtete den Studenten eine Zeit lang aus dem Augenwinkel und stellte fest, dass er ihr immer wieder verstohlene Blicke zuwarf. Zunächst glaubte sie, dahinter stecke nur das natürliche Interesse eines hormongesteuerten jungen Mannes – immerhin war sie nur ein paar Jahre älter als er und nicht gerade die Hässlichste. Doch nach einer Weile bemerkte sie, dass der vermeintliche Student gar nicht in seinem Buch blätterte. Er saß einfach nur da, starrte in die aufgeschlagenen Seiten und linste gelegentlich zu ihr herüber.
Da Lara ihre Recherchen ohnehin abgeschlossen hatte, entschied sie sich zu einem Stadtbummel. Dabei würde sie ausreichend Gelegenheit haben, den Studenten abzuschütteln, falls er sie weiter bespitzelte.
Während sie durch Jeddahs belebtes Zentrum schlenderte, fiel ihr der
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