Der zweite Gral
für Alchimie gesprochen hatte. Seine Eltern, seine Lehrer, seine Freunde und Bekannten. Kaum jemand hatte ihn ernst genommen; die meisten hatten ihn sogar belächelt und – mehr oder weniger ernst – als Spinner bezeichnet. Aber was wussten sie schon? Sie gaben sich noch nicht einmal die Mühe, das Wesen, den Geist der Alchimie zu begreifen. Sie glaubten, was alle glaubten: dass Alchimie nichts anderes sei als das Bestreben, ein Verfahren zur künstlichen Goldgewinnung zu entdecken. Doch damit reduzierten sie ein vollständiges philosophisches Konzept auf einen Teilaspekt. Bei der Alchimie ging es nicht nur um dieUmwandlung unedler Metalle in Gold, sondern um die Veredelung aller Dinge auf Erden.
Auch die des Menschen.
Natürlich war die alte Alchimisten-Lehre ein wenig angestaubt, das sah sogar Sergej Ljuschkin ein. Ihr zufolge musste die so genannte materia prima, der Urstoff, in einem besonderen Glasbehälter erhitzt werden, um daraus in insgesamt sieben Stufen das Endprodukt zu bilden – den Stein der Weisen, aus dem wiederum das Elixier des Lebens gewonnen werden konnte. In Ljuschkins Buch standen Sätze wie: So wandelt sich die materia prima zum Merkurialwasser, um in der nächsten Stufe im Bauch der Erde vergraben zu werden. Oder: Gelingt die Reduktion, so rötet sich die Materie in der fünften Stufe und wütet als roter Drache gegen sich selbst, bis sie sich zu Blut verwandelt. Es war also nicht weiter erstaunlich, dass die Alchimisten vergangener Zeiten oft im Ruf der Scharlatanerie standen.
Doch die moderne Wissenschaft hatte das Wunder Wirklichkeit werden lassen. Zwar gab es keine sieben Stufen, keine materia prima, kein Merkurialwasser und keinen roten Drachen. Doch in der Nachricht, die er gestern Morgen von seinem Freund Amadeus Goldmann erhalten hatte und die sich nun sauber zusammengefaltet in der Innentasche seines Jacketts befand, stand wörtlich: Die siebte Stufe ist erreicht. Das Elixier wirkt! Allein darauf kam es an.
Sergej Ljuschkin spürte, wie sich vom Magen ausgehend eine angenehme Wärme in seinem Körper ausbreitete. Es war nicht der Champagner, der dieses Gefühl bei ihm auslöste, sondern Vorfreude.
37.
E mmet Walsh hatte Schwierigkeiten, den Kontakt zu Hassan Gamoudi herzustellen. Gamoudi war der Kopf eines Waffenschieberrings, der von saudi-arabischem Boden aus den Iran, den Irak, Pakistan und Afghanistan belieferte. Damit trug er natürlich eine Mitverantwortung an vielen Problemen dieser Regionen – den ständigen Unruhen, den Schusswechseln, den Kriegen. Deshalb war seine Organisation irgendwann auf der Liste der Ordensgemeinschaft gelandet. Doch nach eingehenden Diskussionen auf Leighley Castle hatte man beschlossen, Hassan Gamoudi nicht das Handwerk zu legen, sondern stattdessen mit ihm zu kooperieren. Man könne der Gerechtigkeit auf Dauer einen größeren Dienst erweisen, wenn man schnell und unkompliziert an Waffen herankäme, so die einhellige Meinung. Man war bereit, ein kleines Übel in Kauf zu nehmen, um andere, gravierendere Übel besser bekämpfen zu können.
Seitdem hatte Emmet schon mehrmals mit Gamoudi zusammengearbeitet. Bereut hatte er es nie. Es gab kaum etwas, das der Araber nicht besorgen konnte, zur Not auch einen Panzer oder eine Boden-Luft-Rakete, wenn der Preis stimmte und er genügend Vorlaufzeit hatte. Kurz, Gamoudi war ein durch und durch verlässlicher Geschäftspartner.
Das einzige Problem bestand darin, ihn zu finden, denn da es immer irgendwelche Leute gab, die ihn aus dem Weg räumen wollten – Polizei, Geheimdienste, konkurrierende Waffenschieberringe –, war er die meiste Zeit untergetaucht. Emmet wusste nicht einmal mit Sicherheit, ob Gamoudi noch in Jeddah lebte, aber irgendwo musste er schließlich mit seiner Suche anfangen. Also stattete er ein paar alten Bekannten Besuche ab. Einer von ihnen, der Besitzer einer schäbigen kleinen Garküche, führte ihn in ein Hinterzimmer, in dem es nach Öl und Schweiß stank. Dort stand ein Telefon. Der Garküchenbesitzer verschwand wieder, vermutlich, um selbst ein paar Anrufe, zu tätigen. Fünf Minuten später klingelte es. Emmet nahm den Hörer ab. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Hassan Gamoudi höchstpersönlich.
Emmet gab ihm eine Liste jener Dinge durch, die er zwar nicht sofort, aber vielleicht schon sehr bald benötigte. Gamoudi sagte, er habe alles Gewünschte auf Lager oder könne es binnen weniger Stunden auftreiben. Dafür verlangte er vier Millionen US-Dollar, zahlbar
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