Der zweite Gral
achthundert Jahren können wir auch heute schon auf anderem Wege erreichen.« Sein Mund verzog sich zu seinem typisch unterkühlten Lächeln. »Vertrauen Sie mir.«
48.
L ara war heilfroh, das Bauernhaus unbeschadet wieder zu verlassen. Die kühle Nachtluft wirkte beruhigend auf sie, und allmählich entspannte sie sich. Als Emmet dem Waffenschieber-Boss eröffnet hatte, dass er für die Informationen nicht zahlen könne, hatte Lara bereits die Geier über sich kreisen sehen.
»Hey!«
Die Stimme kam von hinten. Lara und Emmet drehten sich um. Auf der Veranda stand Hassan Gamoudi.
»Sollte sich herausstellen, dass Sie mich um mein Geld betrügen wollen, werde ich Sie finden«, rief er ihnen nach. »Überall. Vergessen Sie das nicht.« Er lächelte, doch Lara zweifelte nicht daran, dass die Drohung ernst gemeint war. Jetzt saß ihr also nicht nur Interpol im Nacken, sondern auch noch ein arabischer Waffenschieberring.
»Kannst du mir verraten, weshalb du mich so lange allein gelassen hast?«, raunte sie Emmet zu, der für mindestens eine halbe Stunde aus dem Keller verschwunden war, gemeinsam mit Gamoudi. Für Laras ohnehin angekratztes Nervenkostüm war das alles andere als zuträglich gewesen. Als Emmet später zurückgekommen war, hatte er einen Edelstahlkoffer bei sich gehabt, den er auch jetzt noch in der Hand trug.
»Ich war mit Gamoudi in einem seiner Lager«, antwortete er. »Ausrüstung besorgen.«
Um Waffen zu transportieren, war der Koffer zu klein.
»Ausrüstung?«, wiederholte Lara.
»Für einen Einbruch. Dietriche, Glasschneider, Decoder für Alarmanlagen – solche Dinge.«
»Ich glaube nicht, dass wir auf diese Weise in Assads Palast eindringen können.«
»Ich auch nicht. Aber in das Büro von Omar Larbi.«
Sie ließen sich von Gamoudis Fahrer nicht zurück nach Jeddah bringen, sondern fuhren nach Mekka, wo Larbi lebte.
»Gamoudi hat uns die Adresse besorgt«, sagte Emmet. »War keine große Sache, ein Klick ins Internet genügte. Als Star-Architekt ist Larbi hierzulande eine Berühmtheit.«
Lara nickte. Omar Larbi hatte den Palast von Scheich Assad errichtet. Auch die Erweiterungen hatte er vorgenommen – beispielsweise das Kraken-Labor, das sich angeblich unter dem Palastgarten befand. Lara hatte es selbst recherchiert. Und da es für sämtliche Baumaßnahmen Grundrisse und Zeichnungen geben musste, war klar, was Emmet vorhatte: Er wollte sich ein Bild vom Innenleben des Palasts machen und das feindliche Territorium kennen lernen, um einen Befreiungsplan zu schmieden.
Es war beinahe Mitternacht, als Doktor Goldmann seine Laborführung beendete. Donna war erleichtert, dass er nach Anthony Nangalas Operation keine weiteren blutigen Details mehr demonstriert hatte, sondern sich auf die Besichtigung der Räumlichkeiten und deren Ausstattung beschränkt hatte.
Nangala ging ihr nicht mehr aus dem Sinn. Das Experiment war grausam gewesen, wie alle Experimente Goldmanns, aber bislang hatte Donna nur schriftliche Berichte darüber gelesen. Und die nahmen den Versuchen viel von ihrem Schrecken. Tatsächlich dabei zu sein und mit eigenen Augen zu erleben, wie ein hilfloses Opfer zum reinen Wissenschaftsobjekt herabgewürdigt wurde – noch dazu ein Opfer, das sie persönlich kannte –, war etwas ganz anderes. Ein eisiger Schauer jagte ihr über den Rücken.
Anthony Nangala war dem Goldmann-Projekt rein zufällig in die Quere gekommen. Eigentlich hatte er im Sudan Sklavenhändler dingfest machen sollen. Doch bei seinen Nachforschungen war er auch auf Wad Hashabi gestoßen, das Dorf, aus dem seit Monaten immer wieder Menschen verschwanden. Vor knapp zwei Wochen hatte er dort herumgeschnüffelt – ausgerechnet, als Mats Leclerc und dessen Helfer sich wieder auf die Jagd machen wollten. Sie hatten bemerkt, dass etwas nicht stimmte, und beschlossen, die Aktion um ein paar Tage zu verschieben. Und um weitere Überraschungen zu vermeiden, hatten vier von ihnen Nangala bis nach New York verfolgt, ihn überwältigt und hierher gebracht.
Unter dem Einfluss von Wahrheitsdrogen hatte Nangala erzählt, was er über das Goldmann-Projekt wusste. Viel war es nicht. Er hatte bis zu seiner Entführung geglaubt, es mit einem normalen Menschenhändlerring zu tun zu haben. Außerdem hatte er vom Rosenschwert-Orden gesprochen. Dabei war auch Donnas Name gefallen. Als Assad sie darüber informiert hatte, war ihr schlagartig der Ernst der Situation klar geworden: Wenn ein Ordensmitglied spurlos verschwand, würden
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