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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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er mit genaueren Erklärungen fortfuhr. »Eine menschliche Zelle kann sich ziemlich genau fünfzig Mal teilen, danach stirbt sie. Man bezeichnet dieses Phänomen als Hayflick-Effekt, benannt nach seinem Entdecker. Der plötzliche Zelltod tritt ein, weil die DNS sich bei jeder Teilung ein wenig verkürzt.« Er sah an Bloomfields Gesichtsausdruck, dass er genauer darauf eingehen musste. »Die menschlichen Chromosomen besitzen an ihren Enden eine Art Kappe. Sie besteht aus Wiederholungen einer bestimmten Basenfolge, welche die DNS vor zersetzenden Stoffen schützt. Diese Kappe wirkt wie ein Schutzhelm. Bei jeder Zellteilung wird sie – bildlich gesprochen – abgenommen und danach wieder aufgesetzt. Bei älteren Zellen zerfällt diese Basenfolge jedoch mehr und mehr. Der Helm wird sozusagen brüchig. Nach der fünfzigsten Zellteilung ist der Helm so stark beschädigt, dass die DNS angegriffen wird. Die Erbinformationen können von der Zelle dann nicht mehr gelesen werden. Mit der Folge, dass sie stirbt. Wir haben jedoch einen Weg gefunden, der es menschlichen Zellen ermöglicht, sich etwa fünfhundert Mal fehlerlos zu teilen – anders ausgedrückt: nur äußerst langsam zu altern.«
    Bloomfield nickte. Seine Augen glänzten. In seinem Gesicht spiegelte sich der Triumph eines Mannes, der sich anschickte, sein Schicksal in die Knie zu zwingen. »Worauf warten wir noch?«, fragte er. »Ich kann es kaum erwarten, bis es endlich losgeht.«

49.
    A nthony Nangala lag in einem kleinen, nach Desinfektionsmittel riechenden Zimmer und starrte mit leerem Blick an die Decke. Er konnte sich kaum rühren. Seine Hand- und Fußgelenke steckten in Ledermanschetten, die mit Stahlketten am Bettgestell befestigt waren. Damit besaß er nur unwesentlich mehr Bewegungsspielraum als während der gestrigen Operation.
    Körperlich ging es ihm recht gut. Seine Finger und Zehen fühlten sich zwar ein wenig klamm an, aber das lag vielleicht nur daran, dass er sich nicht rühren konnte. Auch die Kopfwunde machte ihm kaum mehr zu schaffen. Ein leichtes Pulsieren an der Schädeldecke, mehr spürte er nicht. Als ehemaliger Schwergewichtsboxer hatte er weiß Gott Schlimmeres erlebt.
    Um seinen mentalen Zustand stand es allerdings schlechter. Der gestrige Eingriff war die einschneidendste Erfahrung seines Lebens gewesen. Die Hilflosigkeit, mit der er die Operation über sich hatte ergehen lassen müssen, die Angst, dass etwas schief ging, und die Ungewissheit darüber, was Goldmann mit ihm anstellte – alles das hatte ihn beinahe in den Wahnsinn getrieben. Hinzu kam das Entsetzen darüber, von Donna Greenwood – einem der wenigen Menschen, denen er vertraut hatte – verraten worden zu sein. Vielleicht steckten sogar noch weitere Mitglieder der Gemeinschaft mit ihr unter einer Decke. Die Enttäuschung saß tief.
    Nangala hörte, wie die Tür geöffnet wurde.
    »Guten Tag.« Es war die junge blasse Frau, die ihn schon gestern behandelt hatte, nachdem er aus seiner Gefängniszelle gebracht worden war. Heute wirkte ihre Haut sogar noch durchsichtiger. Nangala fiel auf, dass sie – bewusst oder unbewusst – seinem Blick auswich. Dennoch strahlten ihre Augen etwas aus, das ihm einen Hoffnungsschimmer gab: Wärme. In diesen fensterlosen Katakomben schien sie der einzige Mensch mit einer Seele zu sein.
    »Wie geht es Ihnen?« Es war mehr als eine bloße Routinefrage. Irgendetwas in ihrer Stimme ließ erkennen, dass sie sich tatsächlich fur seinen Zustand interessierte.
    »Wenn ich Sie sehe, schon etwas besser.«
    Sie lächelte schüchtern, ging aber nicht näher darauf ein. Stattdessen holte sie ein digitales Thermometer aus einer Schublade. »Machen Sie den Mund auf«, sagte sie.
    Nangala gehorchte, und sie schob ihm das Thermometer unter die Zunge.
    »Wie heichen Chie?«, fragte er, vom Thermometer hörbar beim Sprechen behindert.
    »Reyhan. Reyhan Abdallah.«
    »Ich bin Anchony.«
    Sie lachte und strahlte ihn dabei mit ihren Mandelaugen an. »Anchony? Ein hübscher Name.«
    Nangala wollte protestieren, aber sie wehrte ab. »Lassen Sie den Mund zu. Ich weiß, wie Sie heißen.«
    Nach ein paar Sekunden piepste das Thermometer.
    »34,2 Grad Celsius«, stellte die Frau fest. »Sieht aus, als wäre der gestrige Eingriff erfolgreich verlaufen.«
    Sie löste eine Fußbremse an Anthony Nangalas Rollbett und schob ihn in den von sterilem Neonlicht beschienenen Gang. Nachdem sie um eine Ecke gebogen waren, passierten sie eine Tür. Jetzt befanden sie sich

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