Der zweite Kuss des Judas.
zuckte dieser mit den Achseln und riet mir, mich hierüber mit dem Generalinspekteur ins Benehmen zu setzen. Selbiger lehnte meine mehrmalige Bitte rundweg ab und behauptete, zu diesem Zwecke müsse ich ihm eine formelle Ermächtigung, ausgestellt vom Königlichen Gericht zu Montelusa, vorlegen. Zu Ihrer Kenntnisnahme.
Der Polizeikommissar (Ernesto Bellavia)
PROVINZIALKOMMANDO
DER KÖNIGLICHEN CARABINIERI MONTELUSA
DER HAUPTMANN UND KOMMANDANT
An
Maresciallo Paolo Giummàro
Station der Kgl. Carabinieri Vigàta
Montelusa, den 24. März 1890
Signor Maresciallo, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass Arnoldo Mangiafico, Hauptmann im Königlichen Heere, am frühen Morgen im Kommando vorstellig geworden ist und seinen Schwager Antonio Patò als vermisst gemeldet hat. Als ich ihn darauf hinwies, dass seine Schwester, die Ehegattin von Patò, sehr wahrscheinlich beim Polizeikommissariat Vigàta, das übrigens örtlich zuständig ist, ebenfalls eine solche Anzeige erstattet hat, antwortete er, als Angehöriger des Militärs hege er größeres Vertrauen in Angehörige des Militärs wie die Königlichen Carabinieri. Darum steht, vom heutigen Datum an, einer Ermittlung Ihrerseits in dem Vermisstenfall nichts mehr im Wege.
Der Hauptmann und Kommandant (Arturo Carlo Bosisio)
KÖNIGLICHES POLIZEIKOMMISSARIAT VIGÀTA
An den
Signor Questore Polizeipräsidium Montelusa
Vigàta, den 24. März 1890
Tgb.-Nr. 214
Betreff: Ermittlungen im Fall des vermissten Patò
Trotz des heutigen Ostermontags habe ich morgens den Zimmermann angewiesen, mit dem Abbau der Bühne zu beginnen, zumal die zahlreichen Untersuchungen an Ort und Stelle, fleißig unterstützt von meinen Männern, zu keinem Ergebnis geführt haben.
Gegen Abend haben wir, ich selbst und weitere Polizeibeamte des Kommissariats, uns hierauf an den Straßen postiert, die vom Land in die Stadt führen. Wir warteten auf die Rückkehr der Ausflügler und fragten diese, ob sie zufällig den umherirrenden Filialdirektor Patò getroffen hätten.
Wir erhielten nur verneinende Antworten. Natürlich sahen wir uns außerstande, alle Personen zu befragen, die einen Ausflug ins Grüne unternommen hatten (heute war ein strahlend schöner Tag), aber wir sind - sei es, weil der Fall des vermissten Filialdirektors die Bürger von Vigàta erschüttert, sei es wegen des ansehnlichen Vermögens von Signora Mangiafico verheiratete Patò, die demjenigen eine reiche Belohnung verspricht, der ihr Nachricht von ihrem Mann bringt - davon überzeugt, dass jemand, der den umherirrenden Filialdirektor gesehen hat, dies inzwischen schon gemeldet hätte. Zu Ihrer Kenntnisnahme.
Der Polizeikommissar (Ernesto Bellavia)
KÖNIGLICHES POLIZEIPRÄSIDIUM MONTELUSA
DER POLIZEIPRÄSIDENT
An den
Kommandanten der Königlichen Carabinieri
Capitano Carlo Arturo Bosisio Montelusa
Montelusa, den 25. März 1890
Signor Capitano, ich möchte Sie über einen merkwürdigen Vorfall informieren, der sich, wie ich befürchte, als bedauerlich und als Vorbote gewiss nicht notwendiger Störungen erweisen könnte. Heute Morgen erschien der mir untergebene Commissario aus Vigàta, um zu Recht eine Beschwerde vorzubringen. Und zwar wies er mich darauf hin, dass der Maresciallo der Königlichen Carabinieri der Station Vigàta gestern Abend das Kommissariat aufgesucht hat; er behauptete, ebenfalls mit der Untersuchung im Fall des verschwundenen Antonio Patò beauftragt zu sein, und verlangte Einsicht in die bisher geführten Akten. Als Beweis legte er eine von Ihnen unterzeichnete Ermächtigung vor.
Ich möchte Sie, falls dies bei Ihnen in Vergessenheit geraten sein sollte, daran erinnern, dass nach bewährter Praxis allein derjenige die Ermittlungen führt, bei dem zuerst zur Anzeige gebracht wird, was das Gesetz und den Schutz der Bürger anbelangt.
Aus einem Vergleich der Datumsangaben ist eindeutig ersichtlich, dass die erste Vermisstenanzeige von der Gattin des Verschwundenen bei meinem Commissario erstattet wurde, während die Anzeige des Schwagers und Hauptmanns zu einem späteren Datum stattfand. Es liegt in einem derartigen Fall auf der Hand, dass Sie Ihrem Maresciallo keine Pfründe verschaffen durften, zumal mein Commissario Nachforschungen mit größter Sorgfalt anstellt und ihm keinerlei Fehler zur Last gelegt werden können. Sofern man jedoch glaubt, der Commissario und der Maresciallo müssten bei den Ermittlungen dennoch zusammenarbeiten, so halte ich diese
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