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Der zweite Kuss des Judas.

Der zweite Kuss des Judas.

Titel: Der zweite Kuss des Judas. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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KÖNIGLICHEN CARABINIERI MONTELUSA
    Eilt!! d urch Kurier
An
Maresciallo Paolo Giummàro

      Melden Sie sich morgen Früh Punkt acht Uhr wege n dringender Mitteilungen zum Rapport im hiesigen Kommando.
    Für den Capitano Comandante Ten. Loffredo

    KÖNIGLICHES POLIZEIPRÄSIDIUM MONTELUSA
    Eilt sehr! durch Kurier
An den
Commissario von Vigàta

      Ich erwarte Sie morgen Vormittag pünktlichst um 10 Uhr wegen Sie betreffender dringender Mitteilungen.
    Für den Questore von Montelusa g ez. Antonio Cimarro

    2

    Ermittlungen und Hypothesen

    STATION DER KÖNIGLICHEN CARABINIERI VIGÀTA
    An den
    Capitano Comandante d er Kgl. Carabinieri Montelusa
    An den
    Signor Questore Montelusa
    Vigàta, den 27. März 1890
       Betreff: Ermittlungen im Fall des vermissten Patò Tgb. Nr.321

      Wir möchten Sie unverzüglich über Folgendes in Kenntnis setzen:

      Heute Morgen, noch vor acht Uhr, wurde im Polizeikommissariat Vigàta Commendatore Marcello Cannarella vorstellig, der Generalinspekteur der Banca di Trinacria, und überbrachte uns einen anonymen Brief, den man im Bureau von Filialdirektor Antonio Patò in dessen Schreibtisch in der zweiten Schublade links gefunden hatte. Auf unsere Frage, ob der anonyme Brief versteckt oder sichtbar gewesen sei, antwortete er wie folgt: »Sichtbar.«

      Auf unsere Frage, ob er mit irgendeinem Briefkopf oder einer Adresse versehen gewesen sei, antwortete er wie folgt: »Kein Briefkopf, keine Adresse.«
    Auf unsere Frage, ob er das zu dem anonymen Brief gehörige fehlende Kuvert gesucht habe, antwortete er wie folgt: »Ich habe danach gesucht, aber nichts gefunden.« Auf unsere Frage, ob die Konten der Bankfiliale korrekt geführt seien oder ob Geldbeträge fehlen, antwortete er wie folgt: »Vollkommen korrekt, es fehlt kein Betrag.«
      Obwohl der anonyme Brief nicht adressiert ist, scheint er eindeutig für Patò bestimmt zu sein, denn mit aus Zeitungen ausgeschnittenen und schlampig aufgeklebten Buchstaben steht darin wie folgt:

      DU SPIELST DEN JUDAS UND BIST SCHLIMMER ALS ER.
      Da Patò im Passionsspiel die Rolle des Judas spielt, ist hieraus abzuleiten, dass der anonyme Brief nur an ihn gerichtet sein kann.

      Dieser anonyme Brief weist, wie wir festgestellt haben, die typische Faltung auf, mittels derer er in ein Kuvert gesteckt werden kann, aber das muss nicht bedeuten, dass der Brief per Post geschickt wurde.
      Wir glauben, dass o.g. anonymer Brief Antonio Patò nicht in seiner Wohnung, sondern in der Bankfiliale erreicht hat, wo er ihn seltsamerweise aufbewahrte. Tatsächlich ist der anonyme Brief so unangenehm, dass ein Empfänger ihn, nachdem er ihn gelesen hat, auf der Stelle vernichten müsste. Warum also hat Patò ihn sorgfältig aufbewahrt? Nach ausführlicher Beratung sind wir zu folgendem Ergebnis gelangt:
      Patò hatte keine Zeit, den Brief zu vernichten, weil er mit den Proben beschäftigt war, und um ihn vernichten zu können, hätte er warten müssen, bis niemand mehr im Bureau war. Daraus wäre auch abzuleiten, dass ihm der anonyme Brief erst kürzlich zugestellt wurde; Patò wollte ihn jemandem zeigen.
      Schließlich ist festzustellen, dass der anonyme Brief als solcher keine Todesdrohung darstellt, es steht nur darin, dass Patò wie die Figur, die er spielt, ein Judas ist. Zu Ihrer Kenntnisnahme.
       Der Maresciallo Der Polizeikommissar der Kgl. Carabinieri (Ernesto Bellavia) (Paolo Giummàro) L'Araldo di Montelusa
    Redakteur: Pasquale Mangiaforte

    Donnerstag, 27. März 1890
    EIN NIEDERTRÄCHTIGER ARTIKEL

      Tief empfundene, unerträgliche Abscheu ergriff uns vorgestern, als wir in einem palermitanischen Blatt, das sich als Nachrichtenjournal ausgibt, in Wahrheit jedoch ein Blatt von zweifelhaften Absichten ist, einen niederträchtigen Artikel über Filialdirektor Antonio Patò lesen mussten, der, wie mittlerweile allgemein bekannt, während der Aufführung des Passionsspiels in Vigàta verschwunden ist.

      Dass dieses so genannte Tagblatt über Wehrlose herfällt, ist nichts Neues, aber diesmal, meinen wir, ist es weit über das Ziel hinausgeschossen. Der (was auc h sonst!) anonyme Artikelschreiber behauptet, unter Zuhilfenahme eines miserablen Gedichtes, das man einem abstrusen Bänkelsänger zuschreibt, und einer anonymen (similis cum similibus!) Wandinschrift, die Bürger von Vigàta seien überzeugt, dass Patò ermordet wurde und man seine Leiche hat verschwinden lassen.
    Das ist falsch!
      Die Bürger von Vigàta

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