Der Zweite Messias
antun, nachdem es so schwierig war, sie zu entführen. Zumindest nicht, bis sie haben, was sie wollen.«
»Wie kommst du darauf?«
»Mein Bauchgefühl. Ich nehme an, sie brauchen Yasmin, um ein Druckmittel zu haben, wenn sie mit dir verhandeln.«
In der Ferne war ein Grollen zu vernehmen. »Hast du das gehört?«, fragte Jack. »Über uns muss eine Straße sein.«
»Ja, das waren Verkehrsgeräusche.« Lela hielt die Lampe hoch. Zehn Meter weiter sah sie im Lichtschein ein halb geöffnetes Metalltor in einem Torbogen. »Ich wette, sie sind in Roms Straßen untergetaucht.«
»Was hast du jetzt vor, Lela? Willst du mir Handschellenanlegen, mich nach Israel verschleppen und mich dort vor Gericht stellen?«
legen, mich nach Israel verschleppen und mich dort vor Gericht stellen?«
»Wer hat denn gesagt, dass ich dich irgendwohin verschleppen will? Du musst mir helfen, die Schriftrolle zu finden.«
»Und dann?«
» Dann könnte ich dich verhaften.«
Sie näherten sich dem Tor. Jack zog an dem Metallgitter, das sich knarrend öffnete. Die Pistole im Anschlag, trat Lela hindurch.
Im selben Augenblick hörten sie ein lautes Dröhnen. Gleichzeitig warf ein kräftiger Windstoß Lela beinahe um. Jack riss sie zurück. In der nächsten Sekunde wurden sie von einem grellen Licht geblendet. Die Erde bebte, als ein Zug mit blitzenden Lichtern und ohrenbetäubendem Lärm an ihnen vorbeiraste. Jack spürte fast zehn Sekunden lang, wie der Boden unter seinen Füßen zitterte; dann verschwand der Zug in der Dunkelheit.
Lela presste sich die Hand auf die Brust. »Mein Gott, ich dachte, die Erde bebt.«
»Offenbar ist das hier einer der Tunnel, die das Schienennetz von Rom kreuzen.« Jack trat vorsichtig durch das Tor und zog die verstörte Lela hinter sich her. Ein paar Hundert Meter zu ihrer Linken sahen sie die Lichter einer U-Bahn-Station. »Wahrscheinlich sind die beiden Kerle mit Yasmin durch diesen Bahnhof geflohen. Wir haben sie verloren, Lela. Sie sind uns entwischt.«
Lela legte ihm eine Hand auf den Arm. »Vielleicht sollte ich dir sagen, warum ich dir gefolgt bin, Jack. Es gibt da etwas, was du wissen musst …«
SECHSTER TEIL
85.
John Becket kniete sich auf die kalten Bodenfliesen seiner Klosterzelle und starrte auf das Kruzifix an der Wand. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen.
Die schmucklose Zelle war nur mit einem Metallbett, einem Nachttisch und einem schlichten Holzschrank ausgestattet. Becket, der vor dem Kruzifix auf dem harten Boden kniete, hatte seine kräftigen Hände zum Gebet gefaltet. Er bemerkte nicht, wie die Zeit verging, und achtete nicht auf die Schmerzen in seinen Knien. Seine Lippen bewegten sich, als er flüsternd Gebete sprach, bis er sich schließlich bekreuzigte und sich mit einem leisen Stöhnen erhob.
Er rieb kräftig über seine Knie, nahm ein kleines Handtuch vom Nachttisch und tupfte sich den Schweiß von der Stirn.
Manchmal vertiefte er sich so intensiv in seine Gebete, dass er Zeit und Raum vergaß. So war es auch heute. Becket schaute auf die Uhr und stellte fest, dass über eine Stunde verstrichen war. Er spülte das Handtuch im Waschbecken mit heißem Wasser aus, wrang es aus, faltete es ordentlich zusammen und hängte es zum Trocknen auf die Handtuchstange.
Als er auf dem Bettrand saß, hörte er in der Ferne die Stimmen der Mönche, die ihre Hymnen sangen. Der Klang erinnerte ihn jedes Mal an die düsteren Tage, die den Ereignissen in der Wüste von Qumran gefolgt waren. Becket dachte an das abgelegene Kloster in den Bergen Norditaliens, wo er Zuflucht gesucht hatte, um für seine Sünden zu büßen. Dort hatte er monatelang aufrichtig gebetet und Gott um Vergebung angefleht. Das warviele Jahre her, doch manchmal hatte er das Gefühl, als hätten seine Sünden für immer seine Seele befleckt.
Becket hob den Blick zu dem Kruzifix an der Wand, als wollte er wieder um Vergebung bitten. Einst ein Symbol der römischen Ungerechtigkeit und Grausamkeit, hatte das Kreuz sich in ein heiliges, bleibendes Zeichen der Hoffnung verwandelt, der Gerechtigkeit, des Trostes und Friedens. Es war der Beweis – falls es überhaupt eines Beweises bedurfte –, dass Liebe und Wahrheit stärker waren als Finsternis.
Als Becket an die schwere Aufgabe dachte, die vor ihm lag, seufzte er und strich sich mit der Hand übers Gesicht. Es gab so vieles, was er tun musste, so viele Wahrheiten, die er preisgeben musste und die geheim gehalten worden waren, so viele Fehler, die er gutmachen
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