Der Zweite Messias
Neuigkeiten aus Rom. Ein Verrückter soll mit einem Messer auf Ihren Freund Becket eingestochen haben. Er wird den Anschlag kaum überleben. Und ich bezweifle, dass Beckets Nachfolger sich ermorden lassen wird, um der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen.«
»Sie lügen«, stieß Jack ungläubig hervor.
»Warum sollte ich? Bald wird es in allen Zeitungen der Welt stehen. Gewisse Dinge werden sich im Vatikan niemals ändern, Cane. Aber kommen wir auf die Schriftrolle zurück. Sie haben gesagt, sie liegt unter dem Kies auf dem Grab Ihrer Eltern. Ein gutes Versteck.« Hassan nickte dem Serben zu, worauf er verschwand und Augenblicke später mit Yasmin zurückkehrte.
»Und?«, fragte Hassan. »Hat Cane die Wahrheit gesagt, was das Versteck der Schriftrolle angeht?«
Yasmin war kreidebleich. Sie warf Jack einen gequälten Blick zu, ehe sie Hassans Frage beantwortete. »Ich war mit ihm an dem Grab. Dabei hat er mir kurz den Rücken zugewandt. Es könnte sein, dass er die Schriftrolle unter dem Kies versteckt hat.«
»Okay, dann will ich unserem Freund Jack jetzt ebenfalls die Wahrheit sagen.« Hassan lächelte gequält, stand auf und legte einen Arm um Yasmin, die Jack noch immer mit ihren braunen Augen anschaute. »Darf ich Ihnen meine Schwester vorstellen?«
127.
Monsignore Sean Ryan faltete die Hände im Gebet und ging vor der Notaufnahme des Gemelli-Krankenhauses in Rom nervös auf und ab.
Er betete bei jedem Schritt.
Ryan war es gewohnt, regelmäßig zu beten: jeden Morgen, jeden Nachmittag und jeden Abend. Doch jetzt konzentrierten seine Gebete sich einzig und allein auf John Becket.
Ryan verspürte Übelkeit, als er auf seine gefalteten, zitternden Hände schaute. Mit diesen Händen hatte er Cassini erschossen. Die Sanitäter und Ärzte, die eingetroffen waren und den Papst notfallmäßig versorgt hatten, hatten den sizilianischen Kardinal für tot erklärt.
»Wahrscheinlich war er auf der Stelle tot«, sagte ein Sanitäter später. Angesichts der massiven Wunden, die die Kugeln vomKaliber .40 im Schädel und in der Brust Cassinis geschlagen hatten, konnte es nicht anders sein.
Ryan war noch immer tief erschüttert. Er hatte einen Menschen getötet. Und dass der Papst die Nacht vermutlich nicht überleben würde, verschlimmerte seine gedrückte Stimmung noch.
Ein heller Lichtschein hinter den Fenstern auf dem Gang zog Ryans Aufmerksamkeit auf sich. Er schaute hinaus und erschrak. Die Welt schien verrückt geworden zu sein.
Die grellen Scheinwerfer der Übertragungswagen zahlloser Fernsehsender beleuchteten das Krankenhaus. Auf dem Parkplatz standen dicht an dicht Reporter und Fernsehteams, Sicherheitskräfte und Neugierige. Alle warteten ungeduldig auf Neuigkeiten.
Ryan wusste aus dem Pressebüro des Vatikans, dass mehr als tausend Carabinieri und Polizeikräfte abkommandiert worden waren, um die wogenden Massen zurückzuhalten. Dennoch kamen immer mehr Menschen – Ängstliche und Hoffnungsvolle, Neugierige und Schaulustige, Fromme und Abergläubige, die glaubten, der Tag des Jüngsten Gerichts sei gekommen.
In einer Ecke des Gangs hing ein Fernsehgerät von der Decke. Der Ton war ausgeschaltet. Ryan hatte in der letzten halben Stunde immer wieder auf den Bildschirm geblickt. Es wurden Archivbilder von Papst Coelestin und dem Vatikan, Live-Aufnahmen aus dem Krankenhaus und Interviews mit jedem religiösen Kommentator auf diesem Planeten gezeigt, die ihre Meinungen zum Besten gaben.
Ryan drehte sich um, als ein Chirurg in einem blutbespritzten grünen OP-Kittel durch die Tür des Operationssaales trat. Der Mann durchquerte den Korridor, zog sich an einem Automaten einen Kaffee und trat an ein geöffnetes Fenster. Obwohldas Rauchen hier verboten war, zündete er sich eine Zigarette an und inhalierte den Rauch.
Ryan beobachtete den Arzt, der hastig an der Zigarette zog, wobei er sichtlich nervös auf und ab ging. Der Mann gehörte zu den Notärzten, die das Leben des Papstes zu retten versuchten.
Die Blicke der beiden Männer trafen sich. Ryan runzelte fragend die Stirn. Wie sieht es aus?
Der Chirurg schüttelte leicht den Kopf: Nicht gut. Dann drückte er die Zigarette aus und kehrte durch die Schwingtür in die Notaufnahme zurück.
Als Ryan erneut Schritte hörte, drehte er sich um. Ein hochgewachsener, unrasierter Priester mit gehetzter Miene, der mindestens drei Handys bei sich trug, eilte auf ihn zu. Es war der Pressesekretär des Vatikans, Pater Joe Rinaldi. »Gibt es Neuigkeiten, Sean?«, fragte
Weitere Kostenlose Bücher