Der Zweite Messias
am Leben bleibt, bevor er diese Geheimnisse veröffentlicht, und auch nachher.« Cassini steckte die Mappe in die Aktentasche zurück und verschloss sie. Dann drückte er wieder auf das rote ledergebundene Buch, um das Regal zu öffnen, und betrat denGeheimgang dahinter. Er legte die Aktentasche in seinen Privatsafe und löschte das Licht hinter sich.
»Die Sicherheitsmaßnahmen, die ich angeordnet habe, sind mehr als ausreichend, Ryan«, sagte er dann. »Selbstverständlich werde ich dennoch sämtliche Verbesserungsvorschläge berücksichtigen, die Ihnen vorschweben.«
Er drückte auf das Bücherregal und hörte das vertraute Klicken, als es wieder an seinen Platz ging, während die Lücke geschlossen wurde. »Aus diesem Grund habe ich Sie herbestellt. Es gibt eine Redensart, die Sie bestimmt kennen. Wissen Sie, was Gott zum Lachen bringt?«
»Menschen, die Pläne machen«, antwortete Ryan.
Cassini nickte mit ernster Miene, setzte sich und legte den Brieföffner, der ihm so lieb und teuer war, auf die Schreibtischunterlage. »Richtig. Aber ich bin ein Mann, der gerne Pläne macht. Ich will hundertprozentige Sicherheit für den Heiligen Vater. Das soll keine Kritik an Ihrer Arbeit sein, Ryan, aber ich möchte Ihre Sicherheitsvorkehrungen gerne mit Ihnen durchsprechen, um auf alles vorbereitet zu sein. Ich bin überzeugt, dass die vor uns liegenden Tage große Gefahren bergen. Wir alle wissen, wie einfach es damals für Mehmet Ali Ağca war, das Attentat auf Johannes Paul II. zu verüben.«
»Ich kann Eurer Eminenz versichern, dass unsere Sicherheitsmaßnahmen seitdem erheblich verbessert wurden.«
Cassini nickte. »Ich weiß. Aber es darf keinen Spielraum für irgendeinen Fehler geben. Vor allem nicht unter diesen beunruhigenden Umständen.«
Ryan runzelte die Stirn. »Was meinen Sie damit, Eminenz?«
»Es mag Geistliche geben, die ehrerbietig über den neuen Papst sprechen und ihn beinahe als christusgleiche Gestaltbetrachten. Manche, die sich besonders für seine Reformpläne begeistern, nennen ihn sogar einen zweiten Messias.«
»Ich habe davon gehört.«
»John Becket ist sicherlich ein ungewöhnlicher Mann. Schon als junger Priester hatte er eine außergewöhnliche Ausstrahlung. Man konnten ihn nie so recht durchschauen. Daran hat sich nichts geändert. Man kommt ihm zwar nahe, aber nicht nahe genug, um sagen zu können, dass man ihn kennt. Er lässt sich nicht in die Karten schauen.« Cassini seufzte und schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. »Doch es gibt Dinge, die Sie bei Ihrem Verweis auf die Geschichte nicht erwähnt haben, Sean. Der letzte Papst mit Namen Coelestin beispielsweise wurde angeblich von gedungenen Mördern getötet. Das scheint mir ein schlechtes Omen zu sein.«
»Omen?«
»Erinnern Sie sich nicht an die berühmte Prophezeiung des Malachias, Ihres großen irischen Heiligen? Er hat vorhergesagt, dass John Becket der letzte Papst der Welt sein wird.«
Eine halbe Stunde später saß Sean Ryan hinter dem Schreibtisch in seinem kleinen Büro im zweiten Stock des Umbria-Gebäudes im Vatikan. Der Verkehrslärm, der die Doppelfenster vibrieren ließ, verdarb die schöne Aussicht auf den kleinen Platz unten.
Die Tür wurde geöffnet, und Ryans Sekretär betrat den Raum. Ein italienischer Jesuit – ein großer, mürrisch dreinblickender Mann – brachte ein Silbertablett mit einer Tasse heißem Kakao und einem kleinen Teller mit Plätzchen und stellte es auf den Tisch. Unter seinem Arm klemmten ein Stapel Zeitungen sowie eine streng geheime Akte. »Die Idioten-Akte, die Sie angefordert haben, Monsignore«, sagte er zu Ryan, »und die Tageszeitungen.«
»Gibt es etwas Interessantes?«
»Die übliche Berichterstattung, wie sie über den Heiligen Vater zu erwarten war.« Der Sekretär lächelte freudlos. »Offenbar hat die Presse kein anderes Thema mehr.«
»Danke, Guido.«
Der Priester zog sich zurück. Ryan trank einen Schluck heißen Kakao, ohne die Plätzchen und die Zeitungen eines Blickes zu würdigen. Die üblichen Berichte über Mord und Zerstörungen in den Medien würden ihn nur nervös machen, und nach der Lektüre der Geheimdokumente, die Umberto Cassini ihm gezeigt hatte, war er schon beunruhigt genug.
Ryan stand auf, trat ans Fenster und blickte hinunter auf den kopfsteingepflasterten Platz, der von zwei Schweizergardisten bewacht wurde. Der Sicherheitsdienst des Vatikans verfügte über dreihundert Männer und zwei Dutzend Frauen. Gerade in Zeiten eines
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