Der Zweite Messias
erhöhten Sicherheitsbedarfs betrachtete Ryan die Frauen als besonders effizient. Sie waren oft wie Nonnen gekleidet, und ihn beruhigte der Gedanke, dass sie sich problemlos in die Menge rings um den Papst mischen konnten, während sie scharfe Waffen unter ihren Gewändern versteckten.
Ryan strich über seine linke Hüfte und spürte die leichte Wölbung. Er schob sein Jackett ein wenig zurück. In einem schwarzen Lederholster unter seinem Hosenbund steckte seine Pistole, eine Glock 27 vom Kaliber .40, die er immer gut verborgen bei sich trug. Ryan zog die Waffe aus dem Holster. Die schwarze Halbautomatik war eine zuverlässige Waffe, die modifiziert worden war, um seinen persönlichen Bedürfnissen zu entsprechen: Sie verfügte über ein hochwertiges Nachtsichtgerät, ein größeres Magazin mit zusätzlichen Patronen und einen Pearse-Griff, sodass sie besser in seinen kräftigen Händen lag. In einer ledernen Magazintasche steckte ein Ersatzmagazin.
Ryan sah keinen Widerspruch darin, ein Mann Gottes zu sein und eine Waffe zu tragen. Die Waffe diente dazu, das Leben des Papstes zu schützen. Ryan war stets ein hervorragender Schütze gewesen, aber das Töten war ihm verhasst; er hatte noch nie ein Tier erschossen, konnte aber aus fünfundzwanzig Metern Entfernung die Mitte einer Standard-Zielscheibe durchlöchern.
Ryan steckte die Glock wieder ins Holster.
Der vatikanische Sicherheitsdienst bestand größtenteils aus italienischen Polizisten und Carabinieri sowie ausgebildeten Sicherheitsprofis, die eigens für diesen Job eingestellt worden waren. Sie alle waren engagierte Leute, deren Aufgabe darin bestand, den Papst und den Vatikan sowie dessen unschätzbare Kunstwerke und die religiösen Artefakte zu schützen.
Ryan hatte seine Sicherheitsvorkehrungen ausführlich mit Cassini besprochen, der zufrieden zu sein schien. Vermutlich wollte Cassini sich nur selbst beruhigen, dass alles in Ordnung war.
Ryan kehrte an seinen Schreibtisch zurück, setzte sich und blätterte die »Idioten-Akte« durch. Sie trug diesen Namen, weil sie Details über sämtliche Verrückten und Verwirrten enthielt, die in den letzten vierzig Jahren gedroht hatten, den Papst zu töten oder ihm Schaden zuzufügen. Es waren Hunderte von Briefen, größtenteils anonym, aber einige trugen auch Unterschriften. Sie kamen aus Amerika, Europa, Asien und dem Mittleren und Fernen Osten. In manchen Briefen wurde offen mit einem Anschlag gedroht, in anderen waren die Drohungen und Ankündigungen verschleierter und zwischen den Zeilen versteckt. Viele Briefe kamen von sonderbaren religiösen Gruppierungen und Sekten aus der ganzen Welt, in deren verworrenen Schreiben der Papst zum Abschuss freigegeben wurde. Die Identitäten aller Briefschreiber, die zurückverfolgt und überprüft werden konnten, waren protokolliert und mit Berichten der Polizei oderdes Geheimdienstes des jeweiligen Staates versehen, aus dem sie kamen.
Als Ryan zehn Minuten später mit der Lektüre der Briefe fertig war, klopfte jemand an die Tür, und sein Sekretär kehrte mit besorgter Miene zurück. »Monsignore, ich habe gerade im Büro des Heiligen Vaters angerufen, um Ihre Verabredung für drei Uhr zu bestätigen.«
»Danke, Guido.«
»Es tut mir leid, aber der Heilige Vater hat beschlossen, den Termin in letzter Minute abzusagen, ohne einen Grund zu nennen. Es scheint ein größeres Sicherheitsproblem zu geben.«
Ryan blickte verwirrt drein. »Wie habe ich das zu verstehen?«
»Sein Sekretär hat mir mitgeteilt, der Heilige Vater befinde sich nicht in seinen Räumen. Er hat das gesamte Gebäude abgesucht und alle Büros im Vatikan angerufen, aber er ist nirgendwo aufzufinden. Ich habe den Sekretär noch nie so betrübt gesehen.«
»Was sagen Sie da? Was hat das zu bedeuten, Guido?«
»Es sieht so aus, als wäre Papst Coelestin verschwunden.«
24.
V ATIKAN
Keine zweihundert Meter entfernt betrat in diesem Augenblick ein Mann in einer schlichten weißen Soutane die kühlen Gewölbe der Sixtinischen Kapelle.
Vor Michelangelos Deckengemälden und Botticellis Engeln standen keine Menschentrauben, denn die Kapelle war andiesem Morgen für Pilger geschlossen. Nur ein junger Bediensteter war damit beschäftigt, frische Blumen auf dem Altar zu arrangieren. Als er sich umschaute, sah er eine große, imposante Gestalt, die sich die Kapuze der Soutane über den Kopf gezogen hatte, sodass das Gesicht halb verdeckt war.
Der Bedienstete runzelte die Stirn. »Es tut mir leid, aber
Weitere Kostenlose Bücher