Der zweite Mord
dass das bereits gemacht wird.«
»Aber vor fünfzig Jahren ging das nicht.«
»Nein.«
Hannu steckte seinen Kopf durch die offene Tür und sagte: »Auf dem Totenschein wird Sverker als leiblicher Sohn von Lovisa Löwander geführt.«
»Hannu. Komm und sieh dir das an.«
Tommy hielt ihm Lovisas gefälschtes Entbindungsprotokoll hin. Hannu las es, ohne eine Miene zu verziehen.
»Das hat man wahrscheinlich zu dieser Zeit noch machen können. Es gab keine zentralen Register. Eine unverheiratete Mutter konnte ihr Kind bei der Geburt zur Adoption freigeben. Die Adoptiveltern konnten das Kind dann direkt abholen. So wurde es beispielsweise in Stockholm gehandhabt. Wenn die Adoptivmutter bei ihrer Ankunft in Göteborg eine Bescheinigung hatte, das Kind selbst zur Welt gebracht zu haben, war die Chance sehr groß, dass das Meldeamt daran nichts auszusetzen hatte«, sagte er.
»Besonders wenn die Eltern angesehen waren und als integer galten. Hier ist man wirklich sehr weit gegangen! Lovisa hatte sich sicher ein Kissen vor den Bauch gebunden, ehe sie drei Monate vor der Entbindung aus Göteborg verschwand«, sagte Irene.
»Warte mal! Tekla! Die Quittungen für die Miete!«
Tommy begann in den Papieren zu wühlen, die vor ihm lagen, bis er den Umschlag gefunden hatte. Eilig nahm er die Quittungen heraus. »Hier. Sieben Quittungen über eingezahlte Miete, jeweils hundertzehn Kronen. Ausgestellt auf Tekla Olsson. Leider steht da keine Adresse.«
»Wir müssen uns die Ordner noch einmal ansehen. Vielleicht finden wir irgendwo den Mietvertrag«, sagte Irene.
Sie hatte gerade noch Zeit, die erste Seite mit dem Index aufzuschlagen, als das Telefon klingelte.
»Inspektorin Irene Huss.«
»Also … hier ist Siv Persson. Ich muss Ihnen etwas erzählen …«
»Was ist passiert?«
»Der Mörder! Die Blondine. Gestern Abend … vor meiner Tür«, stotterte Siv Persson.
»Wir kommen sofort zu Ihnen. Machen Sie niemandem auf. Auch wenn es jemand ist, den Sie kennen.«
»Das verspreche ich. Danke … dass Sie kommen.«
Irene legte auf und erzählte ihren Kollegen von dem kurzen Gespräch. Sie fanden es unnötig, zu dritt zu fahren. Hannu und Tommy kümmerten sich um Siv Persson, und Irene blieb, um weiter in den Papieren und Briefen zu stöbern.
Doch da war keine Spur von einem Mietvertrag. Irene ging dazu über, sich die bedeutend interessanteren Briefe vorzunehmen, insgesamt neun Stück. Sie legte sie in chronologischer Reihenfolge vor sich hin.
Der erste Brief war vom 19. Juli 1945. Er wurde von einem Gedicht eingeleitet, und dann stand da:
Liebste Anna!
Ich habe die letzte Juli- und die erste Augustwoche Ferien. Am 26. Juli könnte ich auf dem Hauptbahnhof von Stockholm eintreffen. Von mir aus können wir dann direkt nach Ingarö weiterfahren. Das klingt so wunderbar, dass es euch wirklich gelungen ist, ein Haus dort draußen zu mieten! Ich habe das Gefühl, dass ich wirklich Erholung nötig habe. Es war ein arbeitsreiches Jahr. Es ist weitaus anstrengender, Wirtschaftsleiterin und Oberschwester zu sein, als ich mir das vorgestellt habe! Meine Wohnung ist wirklich gemütlich. Ein beachtlicher Unterschied zu dem kleinen Zimmer, das ich vorher hatte! Da mussten wir uns schließlich auch Küche und Toilette teilen …
Irene überflog rasch den Rest des Briefes. Von Hilding oder Lovisa Löwander kein Wort. Hastig las sie auch die anderen Briefe. Wieder war das Resultat negativ. Kein Wort von Liebe oder überhaupt von Gefühlen, nur Belanglosigkeiten über Sachen, die privat oder in der Arbeit passiert waren.
Der letzte Brief unterschied sich jedoch von den übrigen. Auch dieser wurde von einem Gedicht eingeleitet, aber danach kamen nur noch ein paar kurze Zeilen. Irene zuckte zusammen, als sie das Datum las. Der Brief war auf den 21. März 1947 datiert. Er musste am Tage oder einige Tage, bevor Tekla sich aufgehängt hatte, geschrieben worden sein.
Irene lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und versuchte nachzudenken. Warum hatte Anna gerade diese Briefe aufgehoben? Enthielten sie eine versteckte Botschaft? Tekla und Anna waren wie Schwestern aufgewachsen. Hatten sie eine Chiffre?
Es hatte keinen Sinn, dazusitzen und sich das Gehirn zu zermartern, wenn dort nur Blutleere herrschte. Da konnte sie genauso gut zum Kaffeeautomaten gehen und mit etwas Kaffee ihren Kreislauf wieder in Schwung bringen.
Sie hatte gerade die erforderlichen zwei Kronen in den Automaten geworfen, als sie eine wohl bekannte Stimme
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