Der zweite Mord
zu tun, als sei nichts.‹ Aber dann wollte sie nicht weiter darüber reden.«
»Hatten Marianne und diese andere Schwester, Linda, mehr Kontakt zu ihr als Sie und Marianne?«
»Nein. Mit Linda bin ich öfters zusammen.«
»Arbeitet Linda auch hier auf der Intensiv?«
»Nein. Auf der normalen Station.«
»Aber nicht im Moment?«
»Nein. Jetzt arbeitet Ellen vormittags.«
»Wissen Sie, wann Linda das nächste Mal zur Arbeit kommt?«
»Ihre Schicht beginnt nachmittags um zwei.«
Sie wurden dadurch unterbrochen, dass sich die Tür des Bettenaufzugs öffnete und eine Liege mit einem betäubten Patienten herausgerollt wurde. Eine grün gekleidete OP-Schwester mit Papiermütze und Mundschutz sagte gestresst:
»Erste Koloskopie. Die Gastro kommt auch gleich.«
Schwester Anna-Karin sprang von ihrem Hocker hoch. Die beiden Schwestern raschelten mit Papier und standen flüsternd über den schlummernden Patienten gebeugt.
Irene beschloss, nach Schwester Ellen und Doris Peterzén zu suchen.
Die frisch gebackene Witwe saß im Schwesternzimmer kerzengerade auf einem Stuhl und hatte die Hände auf den Knien gefaltet. Den Hut hatte sie abgenommen und auf den Schreibtisch gelegt. Ihren eleganten Mantel trug sie immer noch.
Irene blieb auf der Schwelle zum Schwesternzimmer stehen, unsicher, wie sie die Vernehmung von Doris Peterzén beginnen sollte. Immerhin war ihr Mann gerade gestorben. Andererseits hatte sie noch nicht die Gelegenheit gehabt, mit ihr über die Vorfälle jener Nacht zu sprechen.
Die Betroffene wandte ihr ihr makelloses Profil zu und sagte müde:
»Schwester Ellen wollte einen Patienten nach Hause entlassen oder was auch immer. Sie kommt gleich.«
»Gut. Ich muss mit ihr sprechen. Aber inzwischen kann ich Ihnen vielleicht erzählen, was hier in der Klinik heute Nacht vorgefallen ist?«
Irene wählte ihre Worte mit Bedacht und versuchte behutsam zu sein. Aber Doris Peterzén geriet vollkommen außer sich, als sie vom Mord an Marianne Svärd erfuhr. Sie begann wieder zu weinen, und Irene wusste nicht so recht, was sie machen sollte. Um die anderen Patienten nicht zu beunruhigen, zog sie die Tür zu und setzte sich neben die weinende Frau. Vorsichtig legte sie ihr die Hand auf die Schulter, ohne dass dies eine sichtbar beruhigende Wirkung gehabt hätte.
Schwester Ellen trat ein. Sie warf einen Blick auf Frau Peterzén und sagte:
»Es ist wohl das Beste, wenn ich ein Taxi rufe.«
Irene nickte. Sie beugte sich zu der Frau vor und fragte:
»Soll ich irgendwelche Angehörigen verständigen? Haben Sie Kinder?«
Doris Peterzén schluchzte, aber schließlich gelang es ihr zu antworten:
»Gö … ran. Er ist in … nicht zu Hause. London … er ist in London.«
KAPITEL 4
Den Rest des Vormittags verbrachte die Polizei damit, mit dem Personal zu sprechen, das tagsüber arbeitete. Als alle vernommen waren, beschlossen sie, zum Mittagessen zu gehen. Die Spätschicht würde ohnehin erst um zwei Uhr nachmittags anfangen.
Kommissar Andersson und Irene entdeckten einen Pizzabäcker auf der Virginsgatan. Im Laden stand ein kleiner Tisch, und sie setzten sich, dankbar dafür, dass sie nicht im Auto essen mussten.
Sie bestellten beide Pizza und jeweils ein Leichtbier. Leise sprachen sie darüber, was die Vernehmungen des Vormittags ergeben hatten. Irene fand die Geschichte von Schwester Siv über das Krankenhausgespenst äußerst merkwürdig. Sie hatte keine brauchbare Hypothese, wen oder was die Schwester gesehen haben könnte, meinte jedoch, es sei nicht auszuschließen, dass es sich dabei wirklich um den Mörder gehandelt hatte. Aufgewühlt hatte die alte Schwester in ihrer überdrehten Phantasie die Gestalt mit der alten Gespenstergeschichte in Verbindung gebracht. Das sei am wahrscheinlichsten, meinte Irene.
Ihr Chef nickte und murmelte eine Antwort, den Mund voll von Calzone. Mit Wonne ging er auf seine Pizza los, woraufhin seine Plastikgabel abbrach. Als er sich zur Seite drehte, um den Pizzabäcker hinter dem Tresen um eine neue zu bitten, musste er feststellen, dass ihnen dieser ungeniert zuhörte. Der Kommissar konnte sich gerade noch bremsen, seinem Ärger Luft zu machen. Es war ihre eigene Schuld, die Pizzabäckerei war für solche Diskussionen nicht geeignet. Hochrot stand er auf und starrte den freundlich lächelnden Pizzabäcker finster an.
»Komm!«, sagte er zu Irene, ohne seinen wütenden Blick vom Mann hinter der Theke zu wenden.
Auf dem Weg nach draußen hielt er kurz inne, ging zum Tisch
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