Der zweite Mord
mich.«
Die Schwester rauschte, die Spritze hoch erhoben, aus dem Zimmer. Der Kommissar runzelte die Stirn.
»Was erzählst du da für Dummheiten? Rinn … Rinn … Zum Teufel!«, meinte er.
»Rhinoplastik«, sagte Irene noch einmal.
»Was ist das?«
»Keine Ahnung! Etwas, was man an einem solchen Tag nicht machen sollte. Das meinte jedenfalls Schwester Anna-Karin von der Intensivstation.«
Andersson holte tief Luft und sagte:
»Ich dachte, du bist schon auf dem Weg dorthin!«
Irene salutierte im Scherz.
»Ertappt! Aber erst muss ich noch etwas nachsehen.«
Sie ging zum Bücherbord, das über dem Schreibtisch hing. Ein Buch mit dem Titel »Medizinische Terminologie« in verblichenen Goldbuchstaben auf einem grünen Leinenrücken hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Irene schlug es auf, fuhr mit dem Zeigefinger die Buchstabenkombination »RH« entlang und fand schließlich, was sie gesucht hatte. »Rhinoplastik, plastischer Eingriff an der Nase.« Mit einem Knall schlug sie das Buch wieder zu. Sie drehte sich auf dem Absatz um und marschierte durch die Tür des Schwesternzimmers. Mit einem Seufzer sah der Kommissar auf seine geschenkte Uhr. Sie zeigte 14.47 Uhr. Zeit, dass Schwester Linda endlich auftauchte.
Auf der Intensivstation herrschte Chaos. Schwester Anna-Karin telefonierte und versuchte die Person am anderen Ende davon zu überzeugen, dass ihr Anliegen äußerst wichtig sei.
»Wenn A-negativ zu Ende ist, dann müssen Sie eben 0-negativ schicken! Der Patient blutet! Der letzte Hb war dreiundachtzig!«
Eine hektische Rötung breitete sich von ihrem Hals über ihre Wangen aus. Das kurze Haar stand in alle Richtungen. Dass sie sich die ganze Zeit mit den Fingern durch ihre nicht vorhandene Frisur fuhr, machte die Sache nicht besser.
»Gut! Schicken Sie es mit einem Taxi!«
Die Schwester knallte den Hörer auf die Gabel. Irene konnte ihre kurzen Atemzüge hören. Anna-Karin hob den Kopf und bemerkte Irene. Eilig hob sie eine Hand und sagte:
»Stopp! Wir haben keine Zeit für Fragen! Es gibt Probleme bei der Rhinoplastik.«
Irene sah auf das Bett, in dem noch vor sieben Stunden die Leiche von Nils Peterzén gelegen hatte. Ein Mann in OP-Grün und eine Schwester mittleren Alters standen über das Bett gebeugt. Irene sah, dass es sich um einen Arzt handelte, jedoch nicht um Dr. Löwander. Vorsichtig trat Irene auf Anna-Karin zu und sagte leise:
»Schwester Linda ist nicht zur Spätschicht gekommen. Haben Sie eine Vorstellung, wo sie sein könnte?«
Es dauerte eine Weile, bis Anna-Karin verstanden hatte, was die Inspektorin eigentlich gesagt hatte. Als es ihr endlich dämmerte, sah sie aufrichtig verwundert aus.
»Nicht?«
»Nein. Es nimmt auch niemand das Telefon bei ihr zu Hause ab.«
Die Verwunderung der Schwester ging in Unruhe über.
»Merkwürdig. Linda ist immer pünktlich. Hat sie vielleicht einen Fahrradunfall gehabt? Ist sie verletzt?«
»So weit wir wissen, nicht. Aber wir sollten dem vielleicht nachgehen. Wissen Sie, wo wir ihren Freund erreichen können?«
Anna-Karin erstarrte und presste die Lippen aufeinander. Eine ideale Zeugin, dachte Irene. Man kann ihr alles vom Gesicht ablesen. Da sie offensichtlich nicht antworten wollte, wurde Irene beharrlicher:
»Es würde Zeit sparen, wenn Sie gleich jetzt mit der Sprache herausrücken würden. Früher oder später bringen wir es auch so in Erfahrung. Aber es könnte einen seltsamen Eindruck machen, wenn Sie keine Auskunft geben. Besonders im Hinblick darauf, was hier heute Nacht vorgefallen ist.«
Die Schwester zuckte leicht mit den Schultern und murmelte:
»Sie haben Schluss gemacht. Er ist letzten Samstag ausgezogen.«
»Sie haben sich getrennt?«
»Ja.«
Dass eine Krankenschwester weniger als vierundzwanzig Stunden, nachdem ihre Kollegin ermordet worden war, nicht zur Arbeit erschien, war beunruhigend, fand Irene.
»Wie heißt ihr Exfreund und wo wohnt er jetzt?«
»Pontus … Pontus Olofsson. Ich weiß nicht, wo er jetzt wohnt. Es ging alles so schnell … Ich hatte keine Zeit, mich mit Linda darüber zu unterhalten.«
»Anna-Karin! Mehr Cyklokapron! Dieselbe Dosis.«
Die herrische Stimme des Arztes unterbrach sie abrupt. Anna-Karin eilte zum Medizinschrank. Gleichzeitig sah die ältere Schwester neben dem Bett von ihrer Arbeit auf und gab einen Gegenbefehl:
»Ruf im OP an und sag, dass Bünzler nach unten kommen soll!«
Unmöglich, sich jetzt mit Anna-Karin zu unterhalten. Irene beschloss später
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