Der zweite Mord
und schläft er nicht ordentlich, dachte Irene.
»Seit wann ging diese Beziehung?«, fragte Tommy.
»Unmittelbar vor Weihnachten. Da begannen wir …«
Sverker verstummte und starrte geistesabwesend auf Irenes und Tommys unordentliches Bücherregal. Irene hatte sich auf den Stuhl neben der Tür gesetzt. Ohne groß darüber zu sprechen, hatten sie sich stillschweigend geeinigt, dass Tommy das Verhör leiten sollte.
»Wo trafen Sie sich?«
»In der Bereitschaftswohnung.«
»Können Sie uns von der Nacht erzählen, in der sie verschwand?«
Löwander wandte seinen Blick nicht vom Bücherregal, als er zögernd zu sprechen begann.
»Wir hatten uns am Wochenende nicht getroffen.«
Erneut verstummte er. Ruhig fragte Tommy:
»Warum nicht?«
»Meine Tochter Emma war mit der Familie einer Freundin ins Fjäll gefahren, und ich war mit Carina Samstag auf ein großes Fest eingeladen. Am Sonntag hatte Linda keine Zeit. Sie und Pontus wollten noch die letzten seiner Sachen packen.«
»Deswegen entschieden Sie, sich in der Klinik zu treffen?«
»Ja.«
»Warum sollte sie so spät am Abend dorthin kommen?«
Sverker Löwander stützte seine Stirn schwer in seine Hände und murmelte leise:
»Geisterstunde. Da ist niemand vom Personal unterwegs. Kein Risiko, dass jemand sie sehen würde. Wir hätten eine ganze Stunde gehabt …«
»War sie pünktlich?«
Ohne die Stirn zu heben, schüttelte der Arzt den Kopf und antwortete, Trauer in der Stimme:
»Nein. Sie tauchte um Mitternacht einfach nicht auf. Ich habe sie nie mehr lebend wieder gesehen.«
»Haben Sie sie geliebt?«, fragte Tommy weiter.
Erst hatte es nicht den Anschein, als hätte Sverker die Frage gehört, aber nach einer Weile nahm er die Hände vom Gesicht und nickte.
»Ja. Sehr.«
»So sehr, dass Sie bereits vom Heiraten gesprochen hatten?«
Jetzt zuckte der Arzt zusammen und sah Tommy zum ersten Mal direkt an.
»Heiraten? Wer hat das gesagt?«
»Das hatten Sie also nicht getan?«
Sverker wirkte geniert und strich sich wiederholte Male mit zitternden Händen durch sein schmutziges Haar. Schließlich antwortete er:
»Also … Ich sagte zu Linda, dass Carina und ich eine schlechte Ehe führen, dass ich mir denken könnte, mit Carina über eine Scheidung zu sprechen.«
»Haben Sie das getan?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich kam nicht mehr dazu, ehe … das alles hier passierte.«
»Aber Linda hat es offenbar so verstanden, dass Sie ihr versprochen haben, sie zu heiraten.«
»So? Doch. Es wäre wohl so gekommen. So … allmählich.«
»Um wieder auf die Mordnacht zurückzukommen. Erzählen Sie uns, was geschah, als sie auf Linda warteten.«
»Ich war um halb zwölf auf meinem Zimmer. Ich zog mich aus und legte mich ins Bett. Versuchte zu lesen. Dann wurde es zwölf und nach zwölf.«
»Wurden Sie unruhig?«
»Nicht wirklich. Ich dachte, ihr sei vielleicht etwas dazwischengekommen, und sie hätte sich verspätet. Aber die Minuten vergingen. Sie kam nicht.«
Er sah auf seine zitternden Hände und holte tief Luft, ehe er fortfuhr:
»Als es Punkt Viertel nach zwölf war, fiel der Strom aus. Ich sah gerade auf die Uhr. Erst war ich nur verärgert. Aber dann hörte ich den Alarm des Beatmungsgeräts und stand hastig auf. Eilig zog ich ein paar Kleider über und lief nach unten. Den Rest wissen Sie. Aber die ganze Zeit fragte ich mich, wo wohl Linda steckt. Ich befürchtete das Schlimmste.«
»Schwester Siv hat erzählt, dass Sie mit ihrer Taschenlampe durch den Hinterausgang der Intensivstation in den OP-Trakt gegangen seien. Haben Sie dort etwas von Linda oder Marianne gesehen?«
»Nein. Natürlich habe ich nach beiden gesucht. Aber ich sah überhaupt niemanden. Ich fühlte mich jedoch beobachtet. Unten in der Eingangshalle … als ich auf die Polizei wartete, um aufzumachen. Ich weiß, dass das wahnsinnig klingt, aber es war ein sehr starkes Gefühl. Und ich bin nicht abergläubisch.«
»Sie glauben nicht, dass es das Klinikgespenst war?«
»Nein. Alle älteren Krankenhäuser mit Selbstachtung haben ein Krankenhausgespenst. Unseres heißt Tekla. Hätte sich diese Schwester nicht auf dem Speicher erhängt, hätte jemand sicher ein anderes Gespenst erfunden.«
»Wenn es kein Gespenst war, dann muss es mit anderen Worten ein Mensch gewesen sein.«
»Ja.«
»Sie haben keine Ahnung, wer?«
Einen Augenblick lang hatte Irene den Eindruck, Sverker würde zögern. Etwas glomm in seinen Augen, was sich nur sehr schwer deuten ließ. Er schaute nach
Weitere Kostenlose Bücher