Der zweite Mord
Wenn Sie noch was wollen, müssen Sie klingeln.«
Sie schloss die Tür, und Schlösser und Ketten rasselten erneut.
Irene hatte noch genug Zeit, um in der Löwander-Klinik anzurufen und mit dem Kommissar zu sprechen. Linda Svensson war nicht auf der Station aufgetaucht. Sie befand sich auch nicht via Notaufnahme in stationärer Behandlung in irgendeinem Krankenhaus. Andersson hatte persönlich herumtelefoniert und das überprüft. Als Irene erzählte, Linda hätte am Vorabend um halb zwölf ihre Wohnung verlassen, war ihr Chef besorgt.
»Sag bloß nicht, dass noch einer Krankenschwester etwas zugestoßen ist!«
Der Schlüsseldienst öffnete das Sicherheitsschloss ohne größere Probleme. Irene betrat die Wohnung und zog die Tür zu, da sie an Belker dachte. In der winzigen Diele machte sie die Deckenlampe an. Von der Katze war nichts zu sehen. Rechts lag ein kleines Badezimmer, geradeaus eine Miniküche. Rechts von der Küche führte eine Tür in ein großes Wohnzimmer mit Schlafnische. Alles war aufgeräumt und frisch geputzt. Die Möblierung schien aus IKEA’s Standardsortiment zu bestehen. An den Wänden hingen gerahmt spektakuläre Kino- und Theaterplakate. Alles wirkte jung, frisch und funktionell.
Aber von Linda keine Spur. Irene rief Kommissar Andersson an und teilte ihm dies mit. Seine einzige Antwort bestand aus einem tiefen Seufzer.
In der Dusche stand Belkers Katzenklo. Hier stank es wirklich nach Katze. Irene hatte keine Ahnung davon, wie man mit Katzen umging, da sie immer Hundebesitzerin gewesen war, aber sie sah, dass der Sand gewechselt werden musste. Außerdem brauchte die Katze etwas zu essen.
Energisch ging sie in die Küche und begann, in den Schränken zu suchen. Endlich fand sie eine Büchse Katzenfutter. Auf dem Boden standen zwei kleine gelbe Keramikschalen. Nachdem sie sie ausgespült hatte, füllte sie sie mit Wasser und Futter. Jetzt fehlte nur noch der Essensgast.
»Maunzmaunz. Komm, es gibt was zu fressen. Belker! Komm, es gibt was zu fressen«, lockte sie.
Bei Sammie funktionierte das immer. Noch bevor sie das letzte Wort gesagt hatte, war er schon beim Fressnapf. In der Diele waren anschließend die Teppiche verschoben, weil er es so eilig gehabt hatte.
Offenbar war das bei Katzen anders. Oder vielleicht waren sich Siamkatzen zu fein dafür. Irene beschloss sich genauer in der Wohnung umzusehen, teils um die Katze zu finden, teils um eventuell auf etwas zu stoßen, was Lindas Verschwinden erklären könnte.
Die kleine Küche war schnell durchsucht. Entweder war Linda Svensson Anorektikerin oder sie aß nie zu Hause. Die einzigen Esswaren waren ein fast leeres Paket Müsli, ein ungeöffneter Becher Jogurt und eine Tube Kalles Kaviarcreme. Gewürze, ein Pfund Kaffee und ein paar Teebeutel standen und lagen auf einem Bord über dem Herd. Im Gefrierfach gab es nur ein geöffnetes Paket Fischstäbchen. Dagegen fand Irene vier weitere ungeöffnete Dosen Katzenfutter. Zumindest war für Belker gesorgt, auch wenn das Biest nicht klug genug war, sich das Futter zu holen, wenn es ihm serviert wurde.
Das kleine Badezimmer barg keine Geheimnisse, genauso wenig der Schrank in der Diele. In dem großen Zimmer durchsuchte Irene das Regal und den kleinen Kiefernschreibtisch vorm Fenster. Sie setzte sich auf den Drehstuhl und begann, systematisch die Schubladen durchzugehen.
Auch die Schreibtischschubladen verrieten Ordnungssinn. Die ordentlichen Bündel Rechnungen, Ansichtskarten, Briefe und Überweisungsformulare erinnerten in nichts an Irenes eigene Ordnung. Bei ihr zu Hause herrschte das Prinzip, dass das, was zuoberst lag, zuerst erledigt werden musste.
Leider fand sich nirgendwo ein Anhaltspunkt für das Verschwinden von Linda – auch ihr Pass war noch da. Plötzlich wusste Irene auch, warum. Es gab kein Telefonverzeichnis oder Adressbuch und auch keinen Terminkalender. Sie durchsuchte das ganze Zimmer und fand nichts dergleichen. Schlüssel und Portmonee waren ebenfalls nicht zu finden. Und Belker.
Plötzlich stieß Irene mit dem Fuß gegen etwas. Sie bückte sich und schaute unter den Schreibtisch. Ein gelber Telefonnummernanzeiger. »Telia Anita 20« stand mit schwarzen Buchstaben über der Nummernanzeige. Die Buchstaben wiesen tiefe Klauenspuren auf. Ein graues Kabel, das von der Anzeige zum Telefon führte, war herausgerissen. Offenbar hatte Telia Anita dem gelangweilten Belker als Spielzeug gedient.
Irene steckte das Kabel wieder ein, aber das Gerät war hinüber.
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