Der zweite Mord
Haus kamen, war der Hund tropfnass, und Irene fand es am sinnvollsten, ihn sofort zu baden. Das letzte Mal war jetzt schon eine Weile her, und er fing langsam an, zu sehr nach Hund zu riechen. Nach dem üblichen Kampf stand das Badezimmer unter Wasser. Da konnte sie auch gleich putzen, wenn sie schon einmal angefangen hatte. Der Küchenfußboden musste einmal aufgewischt werden, aber vorher war es vielleicht am besten, im ganzen Haus Staub zu saugen. Es kam nicht sehr oft vor, dass sie Lust zum Putzen hatte, aber diese Lust erwachte jetzt, als sie durch die Küche ging und Krümel und Sand unter ihren Fußsohlen knirschten. Die Wäscheberge waren in den letzten Wochen ebenfalls nicht kleiner geworden. Im Gegenteil. Sie hatte keine Schwierigkeiten, sich vorzustellen, wie sie morgen aussehen würden, wenn die Zwillinge nach den Skiferien ihr Gepäck ausgepackt hatten.
Der Berg Bügelwäsche hatte gigantische Ausmaße angenommen. Aber irgendwo war die Grenze erreicht. Irene fand, dass sie hier verlief. Wer was Gebügeltes brauchte, konnte es sich aus dem Berg hervorsuchen und selbst Hand anlegen.
Jenny und Katarina machten ihre Zimmer selber sauber. Das war Teil ihrer Taschengeldvereinbarung. Irene beschloss, die größten Staubflocken trotzdem wegzusaugen. In Katarinas Zimmer fuhr sie mit dem Staubsauger nicht unter das Bett, denn dort lag Sammie und zitterte. In ihrem Sommerhaus in Värmland prügelte er sich mit Lust und Liebe mit Katzen und Maulwürfen, aber vor einem Staubsauger hatte er eine Heidenangst. Solange er an war, versteckte er sich unter einem Bett und weigerte sich hervorzukommen.
In Jennys Zimmer saugte sie jedoch unter dem Bett. Sie spürte, wie sie gegen etwas stieß, und eine große graue Papprolle kam zum Vorschein. Neugierig schielte Irene in die Rolle. Es ließen sich einige mit Filzstift geschriebene Buchstaben erkennen: »Schlachten = Folter« stand da in Rot. Sie schüttelte den Inhalt der Rolle auf den Fußboden. Es handelte sich um vier handgeschriebene Plakate mit verschiedenen Parolen: »Boykottiere an Tieren getestete Medikamente und Kosmetik«, »Lackiere alle Pelzmäntel«, »Fleisch essen = Leichenteile essen« und »Schlachten = Folter«.
Irene ließ sich auf Jennys Bett sinken und breitete die Plakate vor sich auf dem Fußboden aus. Beim näheren Hinsehen entdeckte sie einen Aufkleber mit der Abkürzung ALF. Wie die meisten anderen bei der Polizei war sie darüber unterrichtet worden, was diese Abkürzung bedeutete: Animal Liberation Front – Befreiungsfront für Tiere. Jenny war nicht nur Vegetarierin und weigerte sich nicht nur, Lebensmittel, die tierischen Ursprungs waren, zu essen, sie war ebenfalls Tierschutzaktivistin. Irene dachte an das Pelzgeschäft im Zentrum von Göteborg, wo sie Scheiben eingeschlagen und die Pelze mit Sprayfarben zerstört hatten. War Jenny an dieser Aktion beteiligt gewesen?
»Gib mir Kraft und Stärke! Was soll ich tun?«, sagte sie laut.
Als sie noch einmal in die Papprolle hineinschaute, sah sie, dass darin noch ein kleineres Papier lag. Sie zog es hervor und strich es glatt.
Offenbar handelte es sich um eine Kartenskizze. Oben drüber stand: »Befreiung Zoo FT.« Irene saß lange da und studierte die Karte. Allmählich begriff sie, was die Striche darstellen sollten, und plötzlich wusste sie, worum es ging, um die Tierhandlung im Einkaufszentrum Frölunda Torg. Entschlossen stand sie auf und ging zum Telefon in der Diele.
Sie rief bei verschiedenen Kollegen im westlichen Polizeidistrikt an und hatte schließlich ein klares Bild vor Augen.
Am Morgen des 27. Januars 1997 war wegen Diebstahls in der Tierhandlung im Einkaufszentrum Frölunda Torg Anzeige erstattet worden. Der Inhaber hatte gerade geöffnet gehabt und war ins Lager gegangen, um Futter für die Tiere zu holen. Als er wieder in den Laden kam, sah er, wie ein junger Mann in schwarzer Kapuzenjacke, durch die Ladentür rannte. Er lief ihm hinterher, hatte aber keine Chance, ihn einzuholen. Der junge Mann verschwand durch die automatischen Glastüren des Einkaufszentrums. Ein schrottreifer VW-Bus erwartete ihn. Die Nummernschilder waren verschmutzt und der Motor lief. Mit quietschenden Reifen verschwand das Fahrzeug in Richtung Tynnered. Die Polizei fand weder Täter, VW-Bus noch Putte. Putte war ein Zwergkaninchen und das Einzige, was gestohlen worden war.
Das war in der letzten Januarwoche gewesen. Jenny konnte also kaum an dieser »Befreiung« beteiligt gewesen sein. Erst zwei
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