Der zweite Mord
war wach und schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an. Das Licht fiel durch das Dachfenster draußen in der offenen Diele. Wie die meisten Nachbarn nutzten sie die große Diele als Fernsehzimmer. Irene hob die Arme und trocknete langsam ihr nasses Haar mit dem Handtuch. Die Bewegung wirkte Wunder, was die Konturen ihrer Brüste betraf. Man könnte sie auch als eine Low-Budget-Korrektur der Büste bezeichnen. Nichts, was der plastische Chirurg der Löwander-Klinik empfehlen würde. In diesem Augenblick hatte es jedoch den gewünschten Effekt auf ihren Mann. Als sie sich neben ihn legte, konnte sie an seiner Körpersprache erkennen, dass er sie für die attraktivste Frau der Welt hielt.
Sie machten den Großeinkauf zusammen. Als sie wieder nach Hause kamen, kochte Krister ein wunderbares Mittagessen. Das Krabbengericht, das nach Knoblauch duftete und zu dem er Wildreis und Tomatensalat servierte, konnte als vollwertiger Ersatz für das ausgefallene Souper am Vorabend gelten. Ein kleines Stück Schokolade und starker Kaffee rundeten die Mahlzeit ab. Satt und zufrieden saß Irene mit angezogenen Knien in der Sofaecke und sah den Mann an, mit dem sie jetzt schon seit fünfzehn Jahren verheiratet war.
Er hatte sich ihr gegenüber in den Sessel sinken lassen. Sein Kopf lag gegen die Lehne, und er hatte die Augen geschlossen. Sein rotblondes Haar war vorne gelichtet und die Stirn wurde immer höher. Um die Augen hatte er Falten, die von der Müdigkeit kamen. Die hatte er früher nicht gehabt. Er hatte immer gerne gelacht. Vielleicht handelte es sich ja auch um Lachfalten. In drei Jahren wurde er fünfzig, einer der großen Meilensteine des Lebens.
Seinem wunderbaren Lächeln hatte sie damals nicht widerstehen können. Er hatte es immer noch, es war gleichzeitig herzenswarm und spöttisch. Er war zehn Zentimeter größer als sie. Er fand sich selbst ziemlich durchtrainiert, da er jahrelang mit schweren Restaurantutensilien jongliert hatte, aber er hätte lieber auch noch etwas in einem Fitnessstudio trainieren sollen. Sein Bauchumfang hatte in den letzten Jahren beachtlich zugenommen. Er hatte sicher um mindestens zwanzig Kilo zugenommen. Plötzlich überkam sie ein Gefühl großer Liebe zu ihm. Sie stand auf und trat auf ihn zu. Dann küsste sie ihn zärtlich auf die Stirn und setzte sich auf seinen Schoß. Glücklicherweise hatte sie ihr Gewicht weitgehend gehalten, seit sie die Zwillinge bekommen hatte. Mit den Lippen an seiner Wange sagte sie leise:
»Was denkst du?«
Er seufzte und schlug die Augen auf.
»Ich denke über den Sinn des Lebens nach. Darf das wirklich sein, dass man so verdammt müde ist, wenn man von der Arbeit nach Hause kommt? Heutzutage gibt es unendlich viele Arbeitslose, die sich nichts sehnlicher wünschen, als arbeiten zu dürfen. Und die, die Arbeit haben, bringt der Stress um!«
»Das finde ich auch. Die armen Krankenschwestern in der Löwander-Klinik wissen kaum noch, wo ihnen der Kopf steht. Und trotzdem bauen sie in den Krankenhäusern immer noch Personal ab. Die, die bleiben, werden immer älter und müder. Die Jungen wünschen sich einen Beruf in den Medien, was Freies oder was mit Musik. Der Traumjob ist Moderator beim ZTV. Oder möglicherweise Schauspieler in einer Vorabendserie!«
Krister lachte:
»Es hat den Anschein, als hätten die Politiker einen groben Fehler gemacht.«
»Was glaubst du, was die Zwillinge einmal werden wollen?«
Krister dachte eine Weile nach.
»Katarina wird wohl Sportlehrerin. Oder Trainerin in Jiu-Jitsu, wenn man davon leben kann. Vielleicht macht sie auch was mit Sprachen. Jenny wird sich wohl auf die Musik verlegen. Oder sie wird Tierärztin, aber dafür reicht ihr Schnitt vermutlich nicht. Da muss man sehr gute Noten haben. Sie kann schließlich auch Gemüse anbauen, dann hat sie in Zukunft was zu essen.«
Beim letzten Satz verdüsterte sich seine Miene.
»Du findest das anstrengend, dass sie Vegetarierin ist?«
»Verdammte Moden! Wir haben hier in der Familie immer gut und abwechslungsreich gegessen. Ich bin schließlich Profi, was das angeht!«
Irene merkte, dass die Sache Kristers Selbstbewusstsein in Mitleidenschaft gezogen hatte. Tröstend sagte sie:
»Das geht vorbei.«
»Wollen wir’s hoffen«, meinte Krister verdrossen.
Später an diesem Nachmittag fuhr Krister ins Restaurant. Sammie gab zu verstehen, dass er nach draußen musste. Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als sich in den Regen zu begeben. Als sie wieder ins
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