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Der zweite Mord

Der zweite Mord

Titel: Der zweite Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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betrachtete sie von allen Seiten und hielt sie schließlich für stichhaltig. An ihrem Computer fragte sie Doris Peterzéns Adresse und Telefonnummer ab. Resolut streckte sie die Hand nach dem Telefonhörer aus und wählte. Bereits nach dem zweiten Klingeln wurde am anderen Ende abgehoben.
    »Doris Peterzén.«
    »Guten Morgen, Frau Peterzén. Hier ist Kriminalinspektorin Irene Huss. Wir sind uns nach dem tragischen Vorfall mit ihrem Mann im Krankenhaus begegnet.«
    »Guten Morgen. Natürlich erinnere ich mich an Sie. Es tut mir Leid, dass ich damals die Fassung verloren habe … aber es war einfach zu viel. Alles.«
    »Das verstehe ich. Ich frage mich, ob sie heute Zeit für ein kurzes Gespräch hätten?«
    »Doch … Göran und ich sind heute um eins zum Mittagessen eingeladen. Aber vorher ist es kein Problem.«
    »Kommt Göran nach Hause zu Ihnen?«
    »Er kommt zu mir und dann fahren wir zusammen weg. Vor der Beerdigung ist noch viel zu tun. Vielleicht ist das ja ein Segen. So kommt man nicht zum Nachdenken. Aber es holt einen irgendwann ja doch ein.«
    Irene sah auf die Uhr.
    »Ich kann in einer halben Stunde bei Ihnen sein. Passt Ihnen elf Uhr?«
    »Das geht.«
    Sie verabschiedeten sich und legten auf. Irene stellte sich erneut das Szenario vor: Der Mörder schleicht sich als Krankenhausgespenst verkleidet in die Löwander-Klinik. Er will gerade Nils Peterzén töten, als ihn Marianne Svärd zufällig zu Gesicht bekommt. Der Mörder sieht sich daraufhin gezwungen, die Nachtschwester ebenfalls umzubringen, weil sie ihn wieder erkennen und bei einer Gegenüberstellung identifizieren könnte.
    Vielleicht hatte sie ihn auch sofort erkannt! Im Fall des Bankiers ging es immerhin um sehr viel Geld. In vielen Mordfällen war das das einzige Motiv.
     
    Das Haus war eines der größten und ältesten der Gegend. Es war weiß und nüchtern gestrichen und hatte ein Dach aus schwarzen Ziegeln. Es lag ganz oben auf einer Anhöhe und bot eine wunderbare Aussicht übers Meer. Eine bleiche Sonne versuchte ihr Bestes, Göteborg von seiner Eiskruste zu befreien. Auf jeden Fall war es ihr geglückt, die Temperaturen in den Plusbereich zu bringen.
    Irene meldete sich durchdringend mit dem Türklopfer aus Bronze, der wie ein Löwenkopf aussah, und Doris Peterzén öffnete das schwere Eichenportal.
    Sie sah phantastisch aus. Das volle silberblonde Haar war nach innen gekämmt. Eine dünne, diamantenbesetzte Halskette schimmerte im perfekt geschnittenen Dekolletee. Das taubengraue Kleid aus Rohseide hatte dieselbe Farbe wie ihre Augen.
    Plötzlich wusste Irene, wo sie Doris Peterzén schon einmal gesehen hatte.
    »Guten Tag. Zu freundlich, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit mir zu sprechen.«
    »Guten Tag. Das ist alles andere als freundlich. Ich bin wütend! Ich will wissen, ob dieses Gespenst aus der Zeitung wirklich den Strom abgestellt hat, sodass Nils’ Beatmungsgerät ausgefallen ist!«
    Sie trat beiseite, und Irene ging ins Haus. Ohne eine Miene zu verziehen, hängte Doris Peterzén Irenes abgenutzte Lederjacke neben einen beigen Nerzmantel. Verstohlen streifte Irene ihre braunen Curling-Stiefel ab. Sie hatten noch nie so abgetreten und schäbig ausgesehen wie neben Doris Peterzéns eleganten Stiefeletten.
    Ihre Gastgeberin ging vor ihr durch das luftige Entree in ein riesiges repräsentatives Wohnzimmer. Die gesamte westliche Wand Richtung Meer war verglast. In einer Ecke stand ein langer Esstisch mit unzähligen Stühlen. Die Aussicht war phantastisch. Irene verschlug es fast den Atem, so schön schillerte die bleiche Februarsonne auf den blaugrauen Wellen des Meeres.
    Doris Peterzén schien diese Aussicht gewöhnt zu sein. Ohne einen Blick aufs Meer zu werfen, forderte sie Irene auf, Platz zu nehmen. Sie ließen sich auf einer ochsenblutfarbenen Sitzgruppe in englischem Design nieder, die mehr etwas fürs Auge war.
    »Wollen Sie rauchen?«, begann Doris Peterzén.
    »Nein, danke.«
    »Wissen Sie inzwischen, wer für den Stromausfall verantwortlich ist?«
    »Nein. Wir haben eine Zeugin, von der wir wissen, dass sie etwas gesehen hat. Es ist uns aber bisher nicht geglückt, diese Zeugin ausfindig zu machen.«
    »Um wen handelt es sich?«
    »Das darf ich aus ermittlungstechnischen Gründen nicht sagen.«
    Doris Peterzén nahm eine lange Zigarette aus einer goldenen Schachtel. Sie musste beide Hände benutzen, um das schwere Tischfeuerzeug aus Bleikristall überhaupt anheben zu können. Sie inhalierte genüsslich und atmete den

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