Der zweite Mord
Rauch langsam wieder aus.
»Bei unserer ersten Begegnung wusste ich bereits, dass ich Sie schon einmal irgendwo gesehen habe. Heute fiel mir ein, wo. In der Zeitung. Sie waren Fotomodell. Ich kenne Sie aus den Illustrierten meiner Mutter«, sagte Irene.
Doris Peterzén lächelte schwach.
»Das ist einige Jahre her. In den Sechzigerjahren war ich ein gefragtes Modell und Mannequin. In den Siebzigern wurde es schwieriger. In dieser Branche altert man schnell.«
»Wie lange waren Sie verheiratet?«
»Neunzehn Jahre. Wir haben uns auf einem Seglerball kennen gelernt.«
»War er geschieden?«
»Nein. Witwer. Seine Frau war ein Jahr zuvor an Krebs gestorben.«
»Zwischen Ihnen bestand ein recht großer Altersunterschied …«
Doris Peterzén drückte ihre halb gerauchte Zigarette in einem Aschenbecher aus, der offenbar aus derselben Kollektion stammte wie das Tischfeuerzeug.
»Darüber wurde viel geredet. Sechsundzwanzig Jahre. Sie heiratet ihn doch nur des Geldes wegen. Die üblichen Kommentare. Aber ich habe Nils wirklich geliebt. Er gab mir … Gelassenheit und Ruhe. Liebe. Ich habe Nils hier im Leben für alles zu danken.«
»Wieso haben Sie für die Operation Ihres Mannes die Löwander-Klinik gewählt?«
Das hübsche Gesicht zeigte echtes Erstaunen, was Irenes unvermittelten Themenwechsel anging. Nach einem Augenblick antwortete Doris Peterzén:
»Die Familie Peterzén hat für chirurgische Eingriffe immer die Löwander-Klinik in Anspruch genommen. Kurt Bünzler, der plastische Chirurg der Löwander-Klinik, ist sowohl unser Nachbar als auch unser guter Freund. Er hat auch mir einige Male geholfen.«
Unbewusst fasste sie sich mit den Fingerspitzen hinter die Ohren. Irene hatte bereits begriffen, dass die glatte Haut und die festen Gesichtszüge das Werk eines fähigen Chirurgen waren. Jetzt wusste sie, wessen. Verstohlen schielte sie auf die perfekte Büste der Witwe und stellte fest, dass sich Bünzler wahrscheinlich auch dort zu schaffen gemacht hatte.
»Aber Kurt Bünzler hat Ihren Mann nicht operiert.«
»Nein. Es war eine Bruchoperation. Dr. Löwander macht die normalen Operationen an der Löwander-Klinik. Aber die Operation dauerte länger als vorgesehen. Nils … blutete ziemlich stark. Er hatte offenbar Verwachsungen, mit denen niemand gerechnet hatte. Seine Lunge wurde mit der langen Narkose nicht fertig. Emphysem … Sie waren gezwungen, ihn künstlich zu beatmen.«
Doris schluchzte. Ihre Trauer wirkte tief und echt, aber Irene hatte in all den Jahren bei der Polizei viele gut gespielte Vorstellungen erlebt. Sie wechselte das Thema.
»Und Göran ist wieder zu Hause. Wann ist er zurückgekommen?«
Doris Peterzén putzte sich diskret mit einem Papiertaschentuch die Nase, das sie aus dem Nichts hervorgezaubert hatte. Sie riss sich zusammen, sowohl ihre Gesichtszüge als auch ihre Stimme wurden straffer.
»Letzten Donnerstag. Ich habe ihm am Dienstag ein Fax direkt in sein Hotel geschickt.«
Ein metallisches Pochen an der Tür unterbrach sie. Doris stand auf und entfernte sich würdevoll. Die Verkörperlichung des Attributs königlich, dachte Irene.
Irene nutzte die Gelegenheit, aufzustehen und sich die Beine zu vertreten. Das Meer schimmerte in einem flaschengrünen Farbton, und die Wellenkämme reflektierten silberweiß das Licht.
Irene wurde von der angenehmen Stimme Doris Peterzéns aus ihrer Versunkenheit gerissen:
»Inspektorin Irene Huss. Göran.«
Irene drehte sich um und schaute in ein Paar freundliche blaue Augen.
»Göran Peterzén«, sagte er und streckte die Hand aus.
Er war groß und kräftig. Einen Augenblick lang gab es in Irenes Kopf einen Kurzschluss. Der Sohn war älter als die Mutter. Es dauerte einige Sekunden, bis Irene verstand, dass Göran Nils Peterzéns Sohn aus erster Ehe sein musste. Ihr Blick fiel auf das große Porträt in Öl, das an der Wand hinter Göran hing. Die Ähnlichkeit mit dem Vater war frappierend. Aber Nils Peterzén hatte einen entschlosseneren Zug um den Mund. Der Blick war geschärft und hart. Das Gesicht des Sohnes war jovial und wirkte fröhlich und sorglos. Sein eleganter dunkelgrauer Anzug spannte am Rücken und Gesäß, verriet aber einen teuren englischen Schneider.
Irene schüttelte die Hand, die er ihr hinhielt. Der Händedruck war trocken und warm. Göran Peterzén schlug die Hände zusammen und sah mit gespieltem Entsetzen auf seine Stiefmutter.
»Aber Doris, meine Liebe! Wir lassen die Inspektorin ja verdursten! Einen kleinen
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