Der zweite Mord
Aperitif sollten wir uns schon genehmigen, ehe wir losfahren.«
Das Letzte sagte er leichthin, in scherzhaftem, fast neckischem Ton. Aber Doris ließ sich weder bezaubern noch beeinflussen.
»Nein. Du musst fahren. Ich nehme immer noch Schlaftabletten, und die wirken bis zum Nachmittag. Vermutlich ist es an der Zeit, damit aufzuhören.«
Irene hatte nicht bemerkt, dass Doris unter dem Einfluss von irgendwelchen Tabletten stand. Aber sie selbst wusste es wohl am besten.
Auf Görans breitem Gesicht machte sich der Ausdruck von Enttäuschung breit. Aber er nahm sich zusammen und deutete auf die zweite Sitzgruppe des Zimmers. Sie war aus weißem Leder und sah bedeutend einladender aus als die ochsenblutfarbene.
»Bitte setzen Sie sich doch«, sagte er.
Irene ließ sich auf einem der Sessel nieder. Er war genauso bequem, wie er aussah. Doris holte ihre Zigarettenschachtel. Als sie zurückkam, drapierte sie sich in der einen Sofaecke und zündete sich eine ihrer langen Zigaretten an. Göran wählte den zweiten Sessel. Er schlug seine kräftigen Schenkel übereinander, sodass es in den Nähten krachte.
Ohne Irene aus den Augen zu lassen und ohne Doris anzusehen, streckte er die Hand aus und nahm ihre brennende Zigarette. Schnell zündete sie sich eine neue an. Gierig inhalierte er den Rauch und ließ ihn langsam durch die Nasenlöcher entweichen. Als er zu sprechen begann, kamen die ganze Zeit kleine Rauchwölkchen aus Nase und Mund.
»Warum wollten Sie mit Doris und mir sprechen?«
»Wie Sie sicher gehört und in den Zeitungen gelesen haben, wurde in der Nacht, in der Ihr Vater starb, ein Mord in der Löwander-Klinik begangen. Der Mörder sabotierte die Stromversorgung, und das Beatmungsgerät Ihres Vaters fiel aus. Wir verfolgen eine Menge unterschiedlicher Hinweise. Was wir näher untersuchen müssen, ist, ob der Sabotageakt möglicherweise Ihrem Vater galt.«
Sämtliche Rauchentwicklung im Raum hörte auf. Sowohl Doris als auch Göran schienen die Luft anzuhalten. Ehe sich einer der beiden noch besinnen konnte, fuhr Irene fort:
»Es ist nicht so, dass das unser erster Verdacht wäre, aber alle Eventualitäten müssen wie gesagt ausgeschlossen werden. Gab es jemanden, der gegen Nils Peterzén einen ausreichenden Groll hegte, um ihn zu ermorden?«
Göran pustete eine gewaltige Rauchwolke in die Luft und schüttelte gleichzeitig kräftig den Kopf.
»Ich höre, was Sie sagen, aber ich traue meinen Ohren nicht! Ob jemand Papa ermorden wollte? Niemals! Er war zu alt, um noch Feinde zu haben. Die meisten seiner Feinde sind bereits tot oder zu gebrechlich. Doris und er haben sich die letzten Jahre angenehm gestaltet. Sie sind gereist und haben Golf gespielt … nicht wahr, Doris?«
Doris richtete sich kerzengerade auf, und sah Irene fest in die Augen.
»Doch. Wir hatten es wunderbar. Göran hat die Geschäfte vor einigen Jahren übernommen. Obwohl Nils sich immer noch im Hintergrund engagiert hat. Er hatte Mühe, sich ganz aufs Altenteil zurückzuziehen.«
»Weiß Gott! Geschäfte waren sein Leben. Es wird nicht einfach sein, ohne ihn zurechtzukommen. Er war wirklich ein alter Fuchs. Konnte sehr viel und hatte unersetzliche Kontakte.«
Das war ganz offensichtlich ein Problem, das Göran beunruhigte. Hart drückte er seine Zigarette im Aschenbecher aus und sah Doris anschließend an.
»Nun, Doris. Jetzt müssen wir wirklich fahren, sonst kommen wir noch zu spät.«
Alle drei standen auf und gingen zur Tür. Vollendeter Kavalier, der er war, nahm Göran die abgetragene Lederjacke von ihrem Bügel und hielt sie Irene hin, sodass sie hineinschlüpfen konnte. Irene zog die Reißverschlüsse ihrer alten Stiefel hoch und merkte, wie ihr Glamourfaktor auf den absoluten Nullpunkt sank.
KAPITEL 12
In der Mikrowelle aufgewärmte Reste eines Krabbengerichts waren nicht das Schlechteste, was sie sich zum Mittagessen vorstellen konnte. Es kam nur selten vor, dass Irene daheim zu Mittag essen konnte, wenn sie arbeitete. Heute hatte sie es nach Hause geschafft, da es von Hovas nach Fiskebäck nicht weit war. Ein Keramikbecher mit Kaffeewasser wurde eilig in die Mikrowelle geschoben, danach ging sie die Post holen. Reklame für ein wunderwirkendes Diätmittel und Rabatte auf Fitnessstudios kündigten die sommerliche Bikinisaison an.
Geistesabwesend schaufelte Irene drei gehäufte Löffel Pulverkaffee in das heiße Wasser. Während der Kaffee abkühlte, ging sie zum Spiegel in der Diele und betrachtete kritisch ihr
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